Z., 16.1.07
Liebe Yvonne.
Alle Wege führen nach Z., mit etwas Ausdauer und Glück. Und das Haus meiner Dr. G. ist ja mit einem Gästezimmer der Sonderklasse ausgestattet, ich werde bewirtet, ich habe einen Auslauf, soll auch den Hund betreuen, was mir ja nicht so liegt, wegen meiner Geruchsempfindlichkeit. Immerhin - das hier
wäre ein guter Ausgangpunkt für kleine Eskapaden!
Schön, dass Sie diesen Yvonne-Zettel bemerkt haben. Es denke, ich habe Ihre Interessen getroffen, und erwarte weitere Lektüre-Berichte, wenn Sie Zeit dazu finden.
Ansonsten: die Anmerkung dieses "En-passant" hat mich amüsiert und inspiriert. Meine Antwort ist keineswegs unernst gemeint!
Liebe Grüsse
Michaela
Kleine Anmerkung zu „Oho“
Ich, mit meine Audrey-Augen, ich, die ja
keine Audrey ist, auch nie eine sein wollte,
doch solches So-Sein so oft zugesprochen bekommt:
ich, mit meinen Audrey-Augen, die sich selbst
gern auszeichnet, ja, nicht nur nur mit prominenten
Männern, sondern völlig unbekannten, denen ich
ganz sicher nicht das Wasser (oder was sonst noch)
reichen wollte, würden sies von mir verlangen!
Doch sie verlangen es nicht, sie versinken, das haben
sie doch geübt, in einem Augenaufschlag, der sie
an etwas erinnert, dunkel: an ihre Kindheit, den ersten
Blick in die Augen ihrer Mutter, an den immer
überraschenden eigenen Anblick in wechselnden
Spiegeln, zu denen dann noch aus dem Hintergrund
plötzlich aufblitzende Augen treten, von Fremden,
mit befremdlichen Stimmen, deren Widerhall, Männern,
die eine Gefahr ausstrahlen, etwas Egomagnetisches,
Rekursives, die sich also in ihrem Kurs in Richtung
reißendem Voyeurismus bewegen, ganz in
Richtung Edward mit den Scherenhänden, denn jede
Hand hat auch diesen Nagelriß in sich, dieses Bluten,
ja Ausbluten vor Sehnsucht und Unentschiedenheit,
diese tödliche Mischung, der ich, mit meinen Audrey-
Augen immer wieder erliege, voller Hoffnung, es
würde sich bei jedem neuen Versuch etwas ändern:
Fundamentales nämlich, nicht nur das Licht,
der Hintergrund, mein Herzrhythmus, die Art,
wie sich meine Beine aneinanderreiben, wie ich
mich der Strümpfe entledige, wie ich meine Wimpern
spüre, wie ich wissen will, was sich ich meinem Hirn
abspielt, genau jetzt, wenn ich meine Audrey-Augen
aufschlage und lese: apart, Nacht-Fahrer, also dass
Audrey (was ja nicht einmal von mir stammt) zu
einem 40 km langen Weg verführt, zur Kunst, zur
Verkünstlichung einer Begegnung, zu den scheinbar
zum Licht führenden Stufen des Kunsthauses, zur
letzten Drehung des Lenkrades vor dem Parkieren –
dass das dem, der sich aus der Dunkelheit des
Autoinnenraum plötzlich erkenntnisreich heraus-
lösen könnte, dass es dem zu viel gewesen war, schon
im Vorausblick, dieses Abenteuer, meine Audrey-Augen
im ersten, doch entscheidenden Moment
genau, doch erinnnerungslos zu definieren
yvonne erber - 17. Jan, 14:41
Liebe Michaela!
----Ich hoffe, Sie sind inzwischen schon in Z. angelangt, oder vielleicht gar in G., wer weiß? Ich würde Ihnen jedenfalls die Erfüllung Ihrer lang gehegten Sehnsüchte wünschen, wie auch immer sich das im Detail ereignet!
----Sie haben mich gebeten, Ihren Bücherstapel in die Bücherei zurückzubringen. Ich habs getan, eines hab ich mir jedoch behalten, genau jenes, das Sie anscheinend nicht gelesen haben. Oder haben Sie sich’s in Wirklichkeit für mich ausgeborgt? Jedenfalls fand ich auf S. 21 ei-nen Zettel mit: Yvonne!
----Ich denke, Sie haben hineingelesen und meinen Vornamen entdeckt. Vielleicht ist das – und natürlich der Titel - der Anstoß gewesen, mich mit dieser Lektüre zu versorgen.
----Das erste Kapitel handelt von chirurgischen Übungen mit Leichen und beginnt mit dem Vergleich des Kopfes eines Menschen mit einem Grillhähnchen. Wie Sie wissen, esse ich nicht Gegrilltes, auch nichts von allem, was Federn hatte. Ich weiß natürlich, wie so etwas ausschaut, und verstehe den Zusammenhang mit der Situation im Buch.
---Da geht es um einen Auffrischungskurs in Gesichtsanatomie und Facelifting für Schönheitschirurgen. Und um 40 Köpfe von frisch Verstorbenen in 40 Wegwerf-Aluminiumschalen, alle mit dem Gesicht nach oben und anfangs noch mit weissen Tüchern bedeckt. Jeder Kopf auf einem Klapptisch, der mit einer zartlila Plastikdecke verhüllt ist. Die Köpfe sind rasiert, die Stümpfe blutig.
----Ich beschreibe Ihnen das so genau, weil Sie mir mit diesem Buch einiges zugemutet haben. So dachte ich jedenfalls, als ich zu lesen begonnen habe, vorgestern in der Nacht. Da klappte ich es schon nach der Einleitung zu. Ich wollte nicht von Leichen träumen. Ich hatte dann am Morgen auch keine Erinnerung daran.
----Jetzt kommt Yvonne in Spiel, die im Buch, die nämlich diejenige ist, die die Köpfe absägt. Sie wird als kleine dunkelhaarige Frau mit stechendem Blick beschrieben, Sie will die Autorin verscheuchen. Erst als der Organisator dieser Veranstaltung auftaucht, wird klar, daß Yvonne die Leichenköpferin ist, die auch die Oberherrschaft über diesen Ausbildungsraum hat und daher Störungen verhindern will. Während die Autorin die Ärzte bei ihrer Arbeit beobachtet, muß sie zwanghaft denken: Yvonne schneidet die Köpfe ab, Yvonne schneidet die Köpfe ab!
----Bei Tag ist das Lesen in diesem Buch keineswegs schaurig oder abstoßend. Es beschreibt ja etwas, was im Verborgenen in jeder Universitätsstadt und an vielen Spitälern passiert: die Ausbildung von Ärzten anhand von Leichen zum Heil der noch Lebenden.
----Yvonne erklärt, dass sie die Köpfe nicht aus Lust am Makaberen abschneidet, sondern damit die restlichen Körperteile – Arme, Beine, Organe - sinnvoll genutzt werden können. Von den gespendeten Leichen soll nichts vergeudet werden.
----Eine Leiche als Übungsobjekt für Nasenkorrekturen und Faceliftings zu verwenden, erscheint mir bedenklicher, als würde an ihr zum Beispiel das Legen eines Bypasses geübt. Andererseits ist das auch bei europäischen Frauen ein oft heiß diskutiertes Thema, und die Hemmschwelle zu solchen Operationen ist gesunken. Viele Europäerinnen lassen sich allerdings in einer thailändischen Klinik operieren, weil das dort – alles inklusvie – maximal EUR 2.000,- kostet.
----Yvonne, die Kopfabschneiderin, macht die Autorin mit einer Ärztin namens Marilena bekannt, die sich für diesen Kurs angemeldet hat, weil sie das Gesicht einer Freundin verbessern will. Während ihrer Übungstätigkeit am Kopf einer Frau, die eine gewisse Ähnlichkeit mit ihr selbst hat, aber kein Facelifting nötig gehabt hätte, erfahre ich, dass jetzt im Gegensatz zu früher nicht die ganze Haut auf einmal abgelöst wird, sondern die verschiedenen Schichten, die von den Nachbarstrukturen chirurgisch gelöst, einzeln rückverlagert und vernäht werden müssen, ohne daß dabei einer der Gesichtsnerven verletzt wird.
----Die naheliegende Frage, ob Marilena ihre Leiche spenden würde, verneint sie, obwohl ich der Meinung war, gerade Ärztinnen und Ärzte würden so etwas ohne nachzudenken, schon aus einem Gefühl der Dankbarkeit heraus tun. Marilena gibt als Grund an, dass ihr Operationen an Leichen respektlos erscheinen. Einige Chirurgen machen Fotos von den von ihnen präparierten Köpfen und werden diese wahrscheinlich in Fachzeitschriften veröffentlichen. Das kommt Marilena respektlos vor, ungeachtet dessen, daß die Augen mit schwarzen Balken verdeckt werden.
----Als die Autorin den Kursraum verlässt, verabschiedet sie sich auch von Yvonne, um ihr zu sagen, daß sie weder in Ohnmacht gefallen ist noch irgendeine Unordnung angerichtet hat.
----Das zweite Kapitel handelt vom Leichenraub. Yvonne kommt keine mehr vor. Ob ich Ihnen darüber berichten werde, hängt auch davon ab, wielange Sie noch unterwegs sind.
Liebe Grüße
YVONNE
yvonne erber - 15. Jan, 14:42
(Bregenz, 10.1.)
Liebe Yvonne.
Mit Überraschungen kann man Hrn. T. auch nicht zu mehr Flexibilität animieren. Sichtlich nützt es auch nichts, ihm so entgegenzukommen, dass er nur mehr eine halbe Stunde fahren müßte.
Und ich dachte schon, ich würde einen gemeinsamen Abend im Kunsthaus und danach eine schöne Nachtfahrt in einem unbekannten Auto mit einem mir - physisch - unbekannten Mann erleben!
Dh ich werde hier noch zwei Tage allein verbringen und darauf hoffen, dass ich doch noch abgeholt werde. Wenn nicht - diese 40 km werde ich wohl auch per Teleportation schaffen können. Ich, mit meinen Audrey-Augen!
Viel Glück!
Michaela
michaela - 10. Jan, 21:35
morgen,
lieber t.,also donnerstag, 11.1., findet um 19 uhr ein gespräch mit gerhard klocker statt. hättest du nicht lust, rüberzukommen und dir die cindys nochmals anzuschauen? sind ja nur 40 km! k/grüssli MT
twoblog - 10. Jan, 21:58
Wo, wann, wie, warum, wo????
Ah, die Cindy Sherman, habe ich noch gar nicht gesehen ....
Bregenz, Du, ich, oh.
Klocker?
twoblog - 10. Jan, 22:01
Schickst Du mir mal Deine Handy-Nummer auf misterapple@gmail.com ?
michaela - 10. Jan, 22:12
ok,
morgen, wenn der transport dorthin geklappt hat.
prinzipiell: 18 uhr, vorm kunsthaus, egal ob du dort lieber parken oder parkieren willst.
und – könntest du mich danach noch in richtung zürich mitnehmen?
noch etwas – es bedarf keineswegs des exotischen luxfonds-gefährts, da ich keinerlei wert auf äußerlichkeiten lege. du weisst, für wen mein herz schlägt.
twoblog - 10. Jan, 22:51
Bis 12:00 sollte ich anrufen können.
michaela - 10. Jan, 22:52
ps:
sollte das aus irgendeinem grund nicht klappen - schick mir doch bitte sicherheitshalber deine telefon/handynummer an meine email-adresse - michaela DOT staudt ÄT gmx DOT net
twoblog - 10. Jan, 22:58
Nö. Und, ich kann mir nicht frei nehmen, da wir zu viel zu tun haben, sorry. Das Ganze ist sehr kurzfristig hereingekommen ;-). Viel Spass bei Cindy. Na, viel Spass ist ja nicht zu finden in ihren Selbstdarstellungen.
yvonne erber - 11. Jan, 13:35
(Vigaun, 3.1.)
Liebe Yvonne.
Gestern stellte Two die in diesen Tagen ja naheliegende Frage: „Wohin führt das Leben?“ (Naheliegend wäre auch gewesen ein „mich“ einzufügen, er tat es nicht.) Darunter war ein Foto von einem Mann in Jeans in einem Ausstellungsraum zu sehen, der einen Katalog in den verschränkten Händen hielt. Allerdings war vom Gesicht nur das Kinn zu erkennen. Ich hielt für ein Foto von ihm.
Sie lesen hier einige Auszüge aus dem „Chat“ der „Bande“, in den ich mich auch manchmal kurz einmischen durfte.
Leider sitze ich hier noch immer fest: keine Tausender im Casino; und auch kein Auto mit einer Schweizer Nummer!
Schöne Tage in K.
Michaela
michaela - 2. Jan, 16:28
hoffentlich
nicht wieder regen am bächtelitag? was hast du denn da für einen katalog in den verschränkten händen? warum hast du dir den halben kopf abgeschnitten, wo unlängst doch der friseur so millimetergenau dran war? gr/kssli MT
twoblog - 2. Jan, 16:38
Hoffentlich
sieht man (die Experten werden es), dass dies mein Zwillingsbruder ist und ich das Foto von ihm gemacht habe. Der Katalog ist eineschöne, 24seitige Broschüre von "vitra." mit dem Thema "The Home Collection". Und zum Wetter: Es wechseln sich Regen und Schneeflocken ab. So sah das aus!
herold - 2. Jan, 16:38
so viel ist jedenfalls sicher:
das leben führt in den tod. viel genauer kann man da nicht in die zukunft blicken. ;)
...
steppenhund - 2. Jan, 17:17
Mehr Licht gibt es hier.
Manchmal möchte man gerne ausruhen, aber wäre das nicht wiederum fad?
Auch wenn ich mich nicht beglückwünscht fühle, - weder Freund noch Bekannter - wünsche ich Ihnen OHG. Diese Kurzformel für Optimismus, Humor und Gesundheit, auch hier im Blog abgeschaut, gefällt mir so gut, dass ich sie unbedingt loswerden muss;) ...
twoblog - 2. Jan, 18:39
Danke für den Hinweis.
...
Obwohl es doch eigentlich so einfach ist:
Strebe nach Ruhe, aber durch das Gleichgewicht, nicht durch den Stillstand deiner Tätigkeit.
Friedrich von Schiller
Oder auch so vielleicht:
Die Kunst des Ausruhens ist ein Teil der Kunst des Arbeitens.
John Steinbeck
Oder so vielleicht:
Wenn du im Recht bist,
kannst du dir es leisten,
die Ruhe zu bewahren;
und wenn du im Unrecht bist,
kannst du dir nicht leisten,
sie zu verlieren.
Mahatma Gandhi
Oder einfach so:
In der Ruhe liegt die Kraft
Unbekannt
michaela - 2. Jan, 18:38
kaum
hat man sich umgedreht, ist bei dir schon der gestrige tag verschwunden!! protest!
wollt hrn. gulo ausrichten (lassen): "warum schaun sie nicht einmal herüber ins vigauner kurcafé? erkennungsmerkmale außer "nuscheln"? MT
herold - 2. Jan, 18:40
fescher junger mann, der gulo. und für frauen jederzeit eine sünde wert. ;)
twoblog - 2. Jan, 18:42
Das Jahr 2006 liegt hinter uns. Das hat weniger mit Umdrehen zu tun. Das hat nun viel mit Nachvorneschaun zu tun. Mailen Sie doch den Gulo an und dann werden Sie schon merken, ob der Funke rüberspringt. Oder nicht.
...
michaela - 2. Jan, 21:02
nix
gegen das nachvornschaun, t.- wer wird denn schon mit dem hinterkopf gegen die wand rennen wolln! ;-)
im übrigen, t, - ich mach immer eine klare selbst-abrechnung am jahresende. nicht so schlimm, das, was nicht in erfüllung ging, im rückblick auf 06 (kein fixer job, kein fixer freund, kein auto, kein ...). jedenfalls, wenn ich runter auf die schuhspitzen schau. aber wenn ich raufschau zu den sternen??! wohin schaust du denn du jetzt? gr/kssli! MT ;-)
sokrates2005 - 2. Jan, 22:01
Da ...
der Jahreswechsel sowieso nur ein mehr oder weniger willkürlich gewähltes Datum ist, um unsere Versklavung in Arbeit mittels exakter Zeiteinteilung besser unter Kontrolle zu halten, muss man diesen Anlass auch nicht all zu ernst nehmen. ;-)
caliente_in_berlin - 2. Jan, 22:55
Das Leben führt dorthin, wohin sie es bringen.
michaela - 2. Jan, 23:24
ja, s.,
tatsächlich sehr willkürlich! aber seit einführung des julianischen kalenders, also vor mehr als 2000 jahren. allerdings: muss man sich nicht ab und zu fragen, warum der 9. monat unseres kalenders septem-ber und der 12. dezem-ber heisst? demnach war der jahresbeginn am 1. märz.
ja, niemand MUSS den „christlichen“ jahreswechsel ernst nehmen. aber wie kann man sich dem entziehen? so tun, als wär nix, sich schweigend ins bett legen, und draussen spielns krieg?
ist es nicht so, caliente, dass das leben nicht führt, sondern dass in wirklichkeit nur wenige ereignisse – drehpunkte, scheidewege, wie sies auch nennenwollen – kein zurück mehr erlauben, weil es dann keine wahlmöglichkeiten mehr gibt? nachtgrüsse. MT
yvonne erber - 10. Jan, 14:07
Vigaun, 2.1.2007
Liebe Yvonne.
So begann mein Neujahr - mit einem chattigen Impromptu auf Twos Seite. Ich fands nicht unwitzig, weil ich ja tatsächlich dachte, ich könnte einen der Herren an einem nächsten Tage zu einem Treffen im Vigauner Kurcafé oder einen Ausflug ins Lammertal verlocken.
Vielleicht lags an mir, vielleicht hätte ich aktiver sein sollen. Vielleicht sollte ich – wie mir vorgeschlagen wurde – zuerst ins Salzburger Casino gehen, um die Vermehrung meines Selbst-Unterhalts zu provozieren. Dann könnte ich es mir tatsächlich leisten, mich weiter nach Westen - also ins Schockliland - zu begeben. Oder Dr. G. holt mich mit dem Auto ab!
Liebe Grüße
Michaela
michaela- 1. Jan, 15:35
t., welche
ausstellungen haben sie sich denn angeschaut? welche sollte ich unbedingt sehen? warum? ich geh jetzt luft schnappen. hier schießen die wolken über den himmel, toll! bin in ca. 1er stund wieder da ;-) MT
twoblog - 1. Jan, 16:00
m., wo
sind Sie denn bloss? Und, heute und morgen haben die Museen eh alle zu.
michaela - 1. Jan, 18:32
2,
bin auf besuch in vigau (bei hallein). hier hatte es 8 grad. auch derzeit kein regen. hoher zinken, tennengebirge - sagt dir das was? welche ausstellung ab mittwoch in zü würdest du empfehlen?
gulogulo - 1. Jan, 18:37
gemeint ist wohl vigaun. mir sagt das was.
twoblog - 1. Jan, 18:59
Ich denke mal, dass das irgendwo tief in Österreich ist. Du wolltest doch am Lac Leman (man sagt nicht Genfer See, denn der See gehört ja nicht der Stadt Genève) sein um diese Zeit????
michaela - 1. Jan, 18:50
ja, bad vigauN,
gulo, zwischen adnet und kuchl. tolles schwimmbecken im freien, für jede jahreszeit. waren sie schon einmal da? waren sie schon auf dem zinken? kennen sie das lammertal?
t, hallein mit keltenmuseum!
twoblog - 1. Jan, 19:00
Herr Gulo, den kann ich Dir als Partie empfehlen. Er nuschelt allerdings ;-).
gulogulo - 1. Jan, 19:08
ich kenns vom hörensagen, bin hier ja immerhin 20 km von vigaun entfernt. ;-)
twoblog - 1. Jan, 19:10
Michaela!
Machen Sie sofort ein Date mit dem Gulo. Und heiraten Sie ihn.
gulogulo - 1. Jan, 19:15
sorry, aber ich muss schon flyhigher ehelichen.
twoblog - 1. Jan, 19:17
Das sollten Sie sich angesichts von Michaela gut überlegen!
yvonne erber - 9. Jan, 12:44
----In der kommenden Woche wird mir voraussichtlich kein Internetanschluss zur Verfügung stehen. Ausserdem wird es Zeit, mich vom freiberuflichen Arbeitsstress zu erholen.
----Sollten Sie Lust und Interesse haben: wollen Sie nicht zurückblättern und sich die Entwicklungen in den einzelnen Strängen ansehen? Sie werden bemerken, dass hier ein dynamischer, keines abgeschlossener Prozess im Gang ist. Aufs neue Jahr und dessen neuen Impulse freue mich schon!
----Denen, die mir in den letzten Tagen und Wochen Mails geschickt haben, danke ich auch auf diesem Weg nochmals sehr herzlich.
----Ich wünsche Ihnen angenehme und belebende Feiertage!
YVONNE ERBER
PS: Herzliche Grüsse an R. R. und F. S., denen ich gestern noch einige Stunden gewidmet habe.
yvonne erber - 24. Dez, 12:00
Was mir sofort aufgestoßen ist: eine Spielhose mit weißen Engeln erschien mir absurd, obwohl es sicher einen solchen Stoff mit weißen Engeln gibt. Das für mich nächstliegende: ein Foto in einem Bildband, worauf ein Säugling zu sehen war, völlig eingeschnürt, mit chinesischen Zeichen bedeckt.
Dann ein Hoppla: „immergrüner Himmel“! In unseren Breiten gibt’s nicht so viel Immergrünes: Nadelbäume, Buchsbaum, Thujen, Efeu – mehr fällt mir nicht ein. „Immergrüner Himmel“ kann nur eine Täuschung sein. Aber vielleicht sieht ein Kind, das sich einen grasbewachsenen Hügel hinunterrollt, den Himmel in diesen Momenten grün.
Schließlich – „Mutters vergeudete Eier“! Als „Sternchen“! Ein Kinderblick? Nein, ein Blick auf ein Kind, das aus einem nicht „vergeudeten“ Ei entstanden ist.
Interessant der Gedanke, dass alle diese nicht befruchteten Eier zum Himmel aufsteigen. Alle Eizellen, die Menschen hätten werden können, werden dorthin projiziert. So erfüllen sie eine zweckvolle Aufgabe - sie leuchten in den Nächten!
In der Klosterschule wurde uns gelehrt, dass die Verstorbenen bei Gott im Himmel sind und funkeln, vor allem die gestorbenen Kinder. Die Toten schauen auf die noch Lebenden herunter; diese schauen hinauf und beten zu ihnen.
Für jede gebärfähige Frau jeden Monat dieser Verlust! Ich denke nicht daran. Jetzt tu ich es. Doch über diese verloren gegangenen Eier – von den bei der Geburt vorhandenen etwa 400.000 Eibläschen bleiben, wie ich lese, nur etwa 400 zur Befruchtung übrig – mache ich mir gewöhnlich keine Sorgen. Ich sorge mich um geborene Menschen, die mir nahe stehen.
Nächste Strophe: Beschreibung des Zustands eines Kindes, das sich verletzt hat, das die Verwandlung des Essens verfolgt. Das könnte aber auch aus der Gegenwart des Autors stammen. Dann wird durch diese Verletzung die Erinnerung erst ausgelöst - an einen bestimmten Nachmittag, an Menschen, die nicht mehr leben, an den innigen Kontakt mit Tieren.
Ein vielleicht zufälliger, schwebender Blick löst etwas aus – dieses Gedicht versucht das auf sehnsüchtige Weise zu konkretisieren.
Zu:
FRANZ SCHIEL
NACHMITTAG ALS KIND
ich, schnell hingekritzeltes Ich,
mit verlängerter, gekrümmter Zunge,
strahlendblauen Augen, rechts und links,
und überall rote Flecken, Tattoos.
Geschaukelt auf der weißenTreppe,
der rosenbekränzten s-förmigen Rutsche,
in der Spielhose mit den weißen Engeln
vor dem plötzlich immergrünen Himmel.
Woher das alles so leuchtet? Mutters
vergeudete Eier als Sternchen,
aufgestiegen, geliebte Richtzeichen,
die auch den größten Mond überdauern.
Als sich der Verband vom Knie löst,
erleichtert sich der Krampf in der Hand.
Krusten weggekletzelt, Blut fließt wieder.
Keine Vergiftung, bleibende Narbe.
Zahnschmelz zeigt sich stahlhart,
Essenschmutz schmilzt sich an.
Im Magen dreht sich alles, was gut
schmeckt, zeigt sich als schöner Haufen.
Durch die Ellbogenhaut schneidet
ein Blatt, markiert diesen Nachmittag,
auch ferne, unvergeßliche Stimmen,
zittrige Schatten von Verstorbenen,
die Erinnerung an ein sich sträubendes Tier,
Igel, kratzende Kugel in der Schachtel,
an den sich neu formierenden Ameisenhügel,
der sich an den Weingartenweg schmiegt
yvonne erber - 23. Dez, 08:19
Liebe Yvonne Erber,
danke für die Informationen und Anmerkungen zu Beecroft. Tatsächlich interessiert sie mich noch immer sehr, und das hat auch immer mehr Gründe.
Ich denke, dass es in ihrem Fall (und wie doch sowieso meistens, wenn man aus verschiedenen Kulturen schöpfen kann) ein Vorteil ist, das Amerikanische mit dem Europäischen zu verbinden:
Ist Amerika (USA) nicht Puritanismus pur ("Nippel-Gate") gepaart mit den obzönsten Kapital- & Gewalt-Exzessen (die uns Europäer doch so anhaltend faszinieren!)? Und ist Europa nicht das Überkultivierte, bis ins Anämische Gezähmte von Stil & Form? (Ich mag z.B. Jeff Koons überhaupt nicht, aber diese spezifisch amerikanische Geschmacklosigkeit hat auch etwas uns, das Geschmäcklerische Entlarvendes, etwas anderswie Eröffnendes.)
Wie Beecroft mit fast nichts aus einem american "show-act" mit proto-sakralen (europäischen) Techniken des Kunstbereichs die latenten, längst gebändigt geglaubten Sexismen sich aus sich selbst entfalten lässt (aus uns allen, aus jedem Einzelnen also) in der Konfrontation mit etwas, das doch das Natürlichste sein soll (und das natürlich ein Artfefakt selbst, ein komplexes Konstrukt ist) gepaart mit der obszönen Kommerzialisierung und Konfektionierung, also der Kontrolle der Körper, die ja (angeblich immer wieder über die Hälfte bis zu zwei Dritteln der befragten Frauen) mit ihren Körpern nicht zufrieden sind, also sowohl in ihrem intimen Nahraum bis in ihr gesellschaftlich abzugebenden Bild Unzufriedene, bulimisch oder sonstwie Körperschema-Gestörte sind, also letztlich latent Kranke... und wie wir darauf starren, wie etwas etwas mit uns macht ("Das Leiden anderer betrachten" à la Susan Sontag): Das finde ich alles extrem gut auf den Punkt gebracht. Und das mit fast nichts!
Sind nackte Frauen nichts? Ist der nackte Körper nicht immer noch das Wesentliche, die letzte Referenz?
All diese Begründungen Beecrofts für ihre Interessen an der Nacktheit anderer, an ihrer stellvertretenden ex hibitio, die ihr Eigenestes schützt aber ihr den Kitzel der Nacktheit und ihrer Potenzen eben in Potenz erlaubt - sind es nicht Rationalisierungen, Abwehrzauber der Legitimierungen für uns Hirn-Tiere? Für einen nachfragenden, stets Gründe vorschiebenden Diskurs für die sozialen Spiele der Märkte, der Medien, der Mittler? Besteht die Unfreiheit der Frau nicht auch darin, dass sie "Gründe" noch braucht, nackt zu sein? Der Kontext selber, die Rationalisierung ist das Kleid. Das "Getragene" höchstens, die Performanz ihrer Selbstgegenwärtigkeit dann bis zur Erschöpfung - das ist vielleicht noch sie als Individuum.
Die Nacktheit jedenfalls, die Verwundbarkeit - sie geben auch Macht!
Die Nacktheit ist hier diaphanes Fenster, sie ist notwendig, um eben über den immer schon mit klamottigen Lesarten besetzten Blick etwas zu er-öffnen, das sich dann als etwas im Körper der anderen austrägt: Das immer noch möglich eines radikal Entblößten. - Halten wir das aus?
(Dazu braucht es aber offensichtlich auch Nacktheit um immer auch etwas in anderem Sinne zu bewirken, und sei es letztlich die zur Wirkung notwendige mediale Aufmerksamkeit: Reklame für Kunst! Reklame für Gedanken! Reklame für Religion! Nacktheit lässt eben niemanden kalt, sie bringt Aufmerksamkeit und Wallungen archaischer Gefühle, sie bringt Geld und Sponsoren und Umsatz in geistigen Bewegungen, die wiederum Seelen nährt: Auch das zeigt dann: so funktionieren wir.)
Somit aber auch wieder die Unmöglichkeiten des Körpers, die Unmöglichkeit den Körper zu überkommen:
Er ist Zentralthema und bleibt Gegenstand der Sorge, sämtlicher Einschreibungen und Austreibungen, der Ritzschmerzen und Schmückungen, der zartesten Berührung, die eigentliche Körperschaft: Sitz mächtiger Verbände... und zugleich die letzte Referenz, das Drama der Hinfälligkeit, der Schönheit, sterblich zu sein - und darin noch zum Anbeten, zum Beben schön.
***
Zuerst habe ich immer wieder darüber nachdenken müssen, wie wunderbar es ist, x andere Frauen als Stellvertreterinnen für sich selber arrangieren zu dürfen - ist das nicht einfach erstmal eine schöne Idee?
Dann aber auch diese für viele ja schon albtraumhafte Selbstentblößung "vor allen", nackt auch in der psychischen Haut, offen zu sein bis zum Verlieren des Gesichts, der Haltung, des in der Ermüdung immer mehr auslaufenden Bildes von sich selbst wie bis zur völligen Durchlässigkeit - allein das auf den Gesichtern zu Frauen erahnen zu können, als Betrachter "bei sich" das Theater der Scham und der Anrührungen, des Mitempfindens zu erleben, schließlich auch die Beklemmungen, um die es Beecroft anscheinend geht - alles Ambivalenzen, die nicht so simpel rationalistisch aufzulösen sind: Die Vernunft reicht da oft noch gar nicht hin!
Was ich aber begriffen habe (ich kenne nur die Bielefelder Ausstellung von 2005 und diverse Videos) ist, dass es wirklich auf die lebendige Performance, den Ort, an dem es geschieht ankommt. Dadurch gibt es eine eklatante Aufladung des Betrachters durch das Geschehen, und das Geschehen braucht eben die Betrachter, um sich selber wiederum aufzuladen. Ich würde mich nicht scheuen, hier sozial-plastische Dimensionen im Beuys'schen Sinne sich ereignen zu sehen! Und das bedeutet ja auch: Immer auch noch anderswie, animistische beseelte! Der Körper als Trägermedium der Person, des Geistes UND der Seele ist das Anmistische im Sinne der Metamorphosen und Metaphern darüber (und auch der klappernden Mechaniken dabei), er ist das Medium für alles schlechthin!
(Alle Künstler, die mit dem Körper arbeiten, von der abgründigen Abramovic bis zum opulenten Opa Nitsch, zielen letztlich auf diesen nicht-personalen Bereich: Identifikation, Übertragung, Verwandlung... das "mediale Fluidum" im Mysterium doch des Eigensten, des Unverstandenen: eine Spirale von Paradoxien.)
Dass Beecroft sich als "Hofkunst" für Vuitton prostituiert, ist zugleich (eigentlich nur kunst-immanenter) Skandal wie nur folgerichtig: Das "Kritische" bleibt keineswegs "auf der Strecke", sondern wird erst dahin gebracht, wo es vielleicht auch mal die Taschenkundin erreicht statt immer nur den (selber so oft sponsoren-hurigen) Kunstkritiker (in diesem Fall Niklas Maak in der FAZ, von dem man auch sonst etwas allzu unterkomplexe Urteile kennt). Denn: Will nicht jede Tussi so ne blöde, völlig überteuerte, markenhurerische Tasche... und kann sich in den leicht befremdlichen Dekorfrauen auch einmal anderswie karikiert sehen?
(Dass diese Ideen Beecrofts auch nur aus ihren eigensten "narzisstischen Störungen" [und die: von welcher Warte aus also diagnostiziert?] entspringen PLUS ein paar Überlegungen zu gerade gängigen Medienstrategien, wird man ihr schlecht vorwerfen können, da müsste man das Gros der aktuellen und auch älterer bedeutender Kulturleistungen kritisieren. Gerade im Kunstbereich - ein auf seine eigene Weisen ja obszöner und immer schon auch Hofhalter-Markt - ist viel Heuchlerei: Sooo viel an Kunst ist heute nur mehr Dekor und radikal harmlos, und das meiste andere ist "Diskurs".)
***
Mich hat Beecroft damals ziemlich aufgeregt, in mehreren Hinsichten.
(Ich erinnere mich, dass übers Jahr hier in D. Helmut Newton und Bettina Reims gezeigt wurden, die mir - obwohl beide mit ihren unbestrittenen Qualitäten - dagegen etwas verjährt vorkamen. [Wie überhaupt die immer weiter "aufgeblasene" Fotographie auch an ihrer Größe verliert])
Ist irgend jemandem mal das Griechische, Theaterhafte der stummen Frauen aufgefallen? Die Dimension des "Tragischen", wenn die - auch im Leben oft unnahbaren - Frauen-Bilder dann wanken, in sich zusammenfallen, stürzen? Und hier bleibt auch der voyeuristische Blick dann in einem scheelen Lugen auf sich selber vielleicht nicht ganz unaufgeklärt? Ist der Körper nicht das Stumme und zugleich der "Chor" zu dem Drama, dessen Intensität unsere Aufführungen als oft nur mehr aufgeregte soziale Spiele gar nicht mehr erreichen?
Die Beecroftschen Frauen bilden vielleicht so etwas wie ein gesellschaftliches Orakel, einen Omphalos - eine definitive Wahrheit gibt es da nicht zu erfahren. Aber allein das Ausmaß der aufgeworfenen Fragen ist schon erhellend und schafft einen kurzfristig anderen Ansatz von Orientierung.
Dass Beecrofts "Neurose" wiederum mit ihrer Familiengeschichte zusammenhängt - die Familie, die Keimzelle der Gesellschaft also, seit Kain & Abel und der Orestie und Ödipus und all der zahlreichen Mutter-, Vater-, Brudermörder der Ort des Verbrechens... - scheint mir nur folgerichtig. Man denke an das Inzestverbot. Man denke an die Urszene usw.
Ich will hier nicht meinerseits mit dem Umraunen des Profanen anfangen, aber all diese zugleich vulgär- und tiefen-kulturellen Schichten werden immer noch mit-angesprochen mit dem nackten, dazu öffentlichen Körper des bis zum Blödsinn und allgegenwärtig inflationierten Superzeichens "Frau".
Nicht Nacktheit ist das Tabu, sondern das Tabu ist ein Kontext der Nacktheit. Und selbst das kaufen uns die Modemagazine (die weibliche Seite) und die Pornographie (die männliche Seite der Medaille) ab.
Die Zurichtung dieses Superzeichens für seine exzessive Benutzbarkeit ist also die öffentliche Perversion, an der wir alle teilnehmen. Und einen geringen Teil der Schmerzen dieser Zurichtung lässt Beecroft mittels ihrer simplen Inszenierungen in uns anderen als nachfühlbar entstehen. Jegliche Versteinerung ist dabei ausgeschlossen; selbst die (dem Betrachter spürbare, ihn womöglich beschämende) Ermüdung daran übersetzt sich als Verlebendigtes, als Scham oder gar als Schmerz.
(Dass selbst die Ereignislosigkeit bewegungslos stehender Körper Regeln braucht, ist eben der Besonderheit des Kunstmoments dabei geschuldet, ein Element der Formalisierung, und nichts, was die Frauen als Individuen "zwingen" soll. Auch die Form ist übrigens als Idee und Bemühung durch und durch menschlich.
Denken Sie an die "in Form gebrachten" Nachtclub-Schönheiten, Luxuswesen an den Tresen und Präsentiertischen mit dem oft nahezu hoheitlichen Gebaren. Die "Form" ist das, was sie vor intimistischen Akten schützt, vor dem Angequatschtwerden - bei dem ihr Geist dann oft wenig "bella figura" macht. Ich glaube, in der ZEIT stand damals das Wort vom "Dienstleistungskörper". Die wir dann letztlich wiederum alle mit unseren formatierten Haltungen sind...)
Erhellend für einen Mann Ihre Sätze über Strumpfhosen - aber sind Sie ihnen nicht schon so als Teil der Zurichtung auch außerhalb Beecrofts aufgefallen? Eine der vielen Zumutungen an Sie also: Aber sie genügen ihr! Auch außerhalb Beecrofts sind Sie also "innerhalb".
Zum Schluss dann zu dem "Gestaltungswillen".
So wie ich Beecrofts Performances lese, sollen sie ja gerade in keine - oft so viel kaschierende - Aktion münden, ein weiteres erleichterndes Spektakel sein! Es geht eben um die Spannung, das Unbehagen, das Aushalten. Und jeder, der weggeht, nimmt das auch mit!
(Ich las einmal von einer deutsche "VB", die es gab, mit einer Schauspielerin, die dann auch prompt die Regel brach und zu plappern anfing, wohl erst mal zu ihrer Selbstauszeichnung [nur Schwache wollen unentwegt Regeln brechen, nur um sie zu brechen] und dann auch zur "Verständigung" über das, was sie tat - ich kann mir vorstellen, wie enttäuscht man darüber gewesen sein muss.)
Ich denke eher, dass die "losgelassene Frauenmasse" in Ihrem Vorschlag sofort von ihrer eigenen Banalität relativiert wäre - darin läge keine Ermächtigung, eher wieder Befreiungs-Illusionen, mehr Infantilität. Der "Zusammenbruch" ist als Idee in dem Zusammenhang doch wesentlich, als die real erlebte und ausgeführte körperliche Reaktion unter der Auferlegung dieser Masken von Weiblichkeit, von Nacktheit, von Gesellschaftskontexten, die die Frau (die Menschen) in die Lesbarkeit der Formalien zwingen, die sie selber oft undurchschaut an sich exekutieren. Da lernt sogar noch ein Mann dazu!
Sicher, die schweigende Frau hat kein Geheimnis, das ist als Einflüsterung wohl selber wiederum ein gängiger Trick zu ihrer Zurichtung: Ihre ideelle Erhöhung. Aber tatsächlich hat die Frau in einem Teil ihrer Unverfügbarkeit als Frau doch Macht, ist sie in einem archaischen wie individuellen Sinne ermächtigt. Und die sie um ihre Anders- und Besonderheiten "befreiende" Seite nimmt ihr eben auch noch das!
(Jede blonde Unterhaltungstussi - eine andere Art von Dekor, andere Ekelausgaben unserer Vor-Bilder - zelebriert das heute in ihrer kumpelhaft-humorigen Ranschmeiße, wenn sie kreischend vor Lustigkeit und Selbstironie "aus der Rolle" fällt.)
Natürlich: So wie die Frau mich als Mann in einem Projektionsgefängnis hält (mit Erwartungen von ständiger Potenz, Humor, viel Geld, in stets der Überlegenheit angemessen sämtlichen Situationen... all den Gesellschaftsauferlegungen männlicherseits eben), so will sie natürlich auch gern um ihre Auferlegungen befreit sehen - aber wenn schon um den Preis meiner Desillusionierung, dann bitte nicht als ein Mehr an Gewöhnlichkeit, ob mit, unter einem Kleid oder ohne. Gewisse Kräfte bedeuten "frei" im falschen Kontext doch wieder nur Nivellierung und den Verlust aller Form. Das kann man mit Beecroft begreifen: Es braucht Formen - und diese sind eben immer "schwankend". Und das in solch einem Regel-Rahmen mit seinen Untiefen vorgeführt zu bekommen, ist nicht das Schlechteste!
R. R.
yvonne erber - 22. Dez, 15:12
liebe acuto!
---ich bin erst vor kurzem wieder auf ihre seite gestoßen, erstaunt über die veränderungen! dieser beitrag hat mich aus mehreren gründen beeindruckt. als hauptsache erscheint mir, dass hier ein ding, ein kleidungsstück, ihre familiengeschichte repräsentiert.
----dieser handgestrickte „hellbraun melierte“ pullover stammt – wie sie selbst – von ihrer mutter und übernimmt daher auch deren stellvertreterfunktion. anhand der erzeugerin und der trägerinnen und träger dröseln sie familienbeziehungen auf.
----sie zeichnen eines schönes bild ihrer stets für ihren vielköpfigen nachwuchs unentwegt tätigen mutter und erklären abmessungen und konsistenz des pullovers mit der dauer und vielfalt der verwendung.
----den pullover nehmen sie wie einen gleichartigen partner wahr: sie schreiben „wir“! oder übernimmt er vielleicht auch die rolle der ausgebliebenen männlichen helfer beim gartenanlegen und autoreparieren?
----er zeigt auch die seit seiner produktion vergangene zeit durch seine vergrößerung und verlängerung auf 2 meter an!
---er ist nicht nur ihre „herberge“, sondern schafft es auch noch, „brüder&schwestern“ unterzubringen – ein, wie sie schreiben – „Ungetüm“!
---ihre liebe zu ihm geht sogar so weit, als würden sie mit ihm ein hochzeitsversprechen eingegangen sein: bis der tod euch scheidet!
---schön finde ich, dass die ästhetik keine rolle spielt, sondern nur die funktion und die „treue“!
---ich selbst könnte so etwas von mir nicht behaupten. es gibt aber einiges in meiner garderobe, was nicht nur der erinnerung dient. am ältestesten ist das cremefarbene hochzeitskleid meiner mutter. es wurde von einer freundin angepasst. ich habe es bis jetzt erst einmal, nämlich bei der silvesterfeier einer modeschöpferin vor einigen jahren getragen. alle anderen kleider von ihr habe ich bei verschiedenen gelegenheiten zerschnitten. nie ist etwas für mich tragbares daraus geworden.
---sehr lange hat mich ein indisches kleid begleitet, das ich mir nach der matura gekauft habe. es hat viele feste, feiern, vernissagen usw. mitgemacht. inzwischen kamen die langen ärmel weg, damit ich es auch im sommer tragen kann. es hat einen schwarzen samtsattel, einen mit längsnähten verstärkten mittelteil und einen schwarzen rock mit rotem blumenmuster. leider sind die nähte inzwischen recht brüchig geworden.
---sehr gerne habe ich zwei leichte schwarze mäntel, die ich vor 10 jahren auf einem flohmarkt in amsterdam gekauft habe. typisch 50er jahre, wozu ich eine gewisse affinität habe, damit zur kindheit meiner mutter.
---sie sehen, acuto, nichts reicht an ihren in allen lebenslagen praktischen und herzwärmenden mutterpullover heran!
YVONNE ERBER
Zu:
acuto - 16. Dez, 14:59
Dinge mit Geschichte sind mir die allerliebsten. Ob ich ihre Geschichte kenne, ist nicht gar so wichtig. Die von meinem Wohnpullover kenne ich jedoch. Er ist schon recht betagt und hat sehr viel erlebt in seinem langen Dasein. Nicht nur mit mir zusammen.
Ursprünglich - es ist viele Jahre her - strickte ihn meine Mum für den Liebsten meiner Schwester. Und weil meine Mum viele Kinder hat, kocht sie nicht nur grundsätzlich doppelt so viel, wie eigentlich not täte, sondern befürchtet auch ständig, dass die vielen Dinge, die sie näht, strickt und werkt, zu klein sein könnten. Wahrscheinlich ist das verinnerlichte Bewusstsein, dass all die vielen Kinder und Kindeskinder immer viel zu schnell aus ihren Kleidungsstücken herauswuchsen, schuld daran, dass sie lieber ein bisschen größer als zu knapp werkelt. Jedenfalls war jener Pullover - er ist hellbraun meliert - dem Schwesterliebsten von Anfang an ein bisschen zu groß. Was nichts ausmachte, denn damals studierte er noch und niemand krähte danach, wenn sein Outfit etwas schlabbrig daherkam.
Vielleicht lag es daran, dass er vom ersten Tag seiner Existenz an großes Format ge-wohnt war und dies als Karma verstand - niemand konnte sich erklären, wie es möglich war, fest stand nur, dass der Pullover im Lauf der Zeit immer größer wurde. Er behielt zwar seine Form, aber irgendwann erreichte er ein Ausmaß, dass diese nur noch zu erkennen war, wenn man ihn flach auf den Boden legte. Der Schwesterliebste fand das gar nicht erbaulich. Er hatte ohnehin mehr Draht zu edlem Zwirn als zu Handgestricktem, und dass ein Pullover, dessen Aufgabe doch selbstloses Wärmen war, einfach selbstherrlich zum Zelt gedieh, ging ihm entsetzlich wider die Facon. So kam es, dass das gute Stück ihn zwar jahrelang begleitete, bald aber nur noch zusammengefaltetes Zeltdasein im untersten Schrankfach fristete. Ob er während dieser Zeit der Enklave still und leise weiterwuchs - niemand weiß es, aber ich traue es ihm zu.
Die Schwester und ihr Liebster trennten sich irgendwann und verbandelten sich neu. Und wie es das Leben so wollte, war die neue Liebste des Schwesterexliebsten eine meiner besten Freundinnen, die ihn mitsamt ungeliebtem Pullover liebevoll bei sich aufnahm. Wieder vergingen Jahre. Mittlerweile beherrschte der edle Zwirn den Schrank, und zuguterletzt ging es auch dem melierten Ungetüm an die unsäglich weite Substanz. Er nahm einen halben Kleidersack für sich allein in Anspruch, als ich zufällig zu Besuch kam und anlässlich dessen entsetzlich fror. Praktisch veranlagt, befreite ihn die Freundin aus seinem Plastikgefängnis, und er und ich verbrachten einen überaus wohlfühlig kuschelichen Nachmittag zusammen, an dessen Ende mir offeriert wurde, ob ich ihn nicht adoptieren wolle.
Ich hatte ihn trotz oder wegen seiner unseligen Farbe wie Form schon längst ins Herz geschlossen und so wechselte er, ohne dass es schmerzlicher Bruch für ihn gewesen wäre, fließend den Besitzer. Seitdem füllt er bei mir fast gänzlich ein Schrankfach.
Ich liebe diesen Pullover. Schmutzunempfindlich und überaus warm begleitet er mich nun schon viele Jahre. Wir haben gemeinsam drei Gärten angelegt, an Autos und anderem Gelumpe gebastelt, sind durch Wald und Feld gezogen und abends hat er mir so manche Fröstelei vertrieben. Das schöne an ihm ist, dass ich beliebig viele andere Pullover unter ihm tragen kann, ohne dass es sonderlich auffällt. Egal, wieviel er beherbergt, es würde immer nochmal so viel in ihn hineinpassen. Die Schulternähte sitzen (ähm, hängen) auf einer Höhe mit meinen Ellbogen, und wenn ich sitze, kann ich sogar meine Knie mit ihm wärmen. Sein Umfang beträgt mittlerweile an die zwei Meter. Und die braunmelierte Substanz ist so robust, dass ihm niemand sein Alter ansieht. Ob er waschbedürftig ist, lässt sich nur olfaktorisch und mit Blick in den Kalender feststellen. Ich habe nicht mal Problem damit, Vorne von Hinten zu unterscheiden, denn er hat ei-nen spitzen Ausschnitt, der - wenn ich meinen Freund und Wärmer an mir zurechtpussle - lässig unter meine Möpse spitzt.
Das einzige, was er nicht verträgt und wogegen er sich so vehement wie effizient wehrt, ist der Versuch, ihn seinerseits unter etwas anderem zu verbergen. Das lässt er nicht zu. Will ich verhindern, dass er Mantelknöpfe sprengt und Jackenärmel bewegungssteif verstopft, muss ich mit angemessenem Selbstbewusstsein zu ihm stehen. Mach ich aber gern, denn ich liebe ihn sehr. Und wenn ich ihn mir so anschaue, halte ich es für durchaus denkbar, dass er mich bis zur Bahre begleiten wird - meinereine im Lauf der Zeit immer kleiner werdend, er dafür unverändert wachsend. Gut möglich, dass er zu gegebener Zeit eine prima braunmelierte Sargdecke abgeben wird. Aber bis dahin haben er und ich hoffentlich noch viel gemeinsame Geschichte vor uns.
yvonne erber - 19. Dez, 14:27
Lieber R.R.
----Einige Nach-Bemerkungen zu
Vanessa Beecroft:
-Anscheinend hat Beecroft sich in Deutschland zum ersten Mal der Realität angenähert, schon vor der WM auf Schwarz-Rot-Blond (=Gold) eingestellt und dies auch durch ihre Inszenierung mit altersmäßig breit gestreuten Frauenkörpern aus dem „Volk“ bewiesen.
-Sie führte Regie über willige oder – wodurch auch immer - willfährig gemachte Frauen, um sich selbst zu beruhigen. Vielleicht hat sie damit kurzfristig ihren Psychopharmaka-Verbrauch gesenkt. Man kann es ja auch so sehen: Eine gebürtige Europäerin im amerikanischen Lack ist zurückgekommen mit dem Bedürfnis nach Selbstbefreiung, Befreiung vom eigenen Psychoterror mittels Zurichtung und Zuspitzung einer weiblichen Masse.
-Mit der Frage an mich: Hätte ich teilgenommen oder nicht? verbindet sich gleich eine andere: Hätte ich eine Gelegenheit vorbeigehen lassen sollen, zugleich auf der realen und symbolischen Ebene zu agieren und damit diese zu vereinen?
-----Meine Emotionen beim Betrachten des heute eingestellten Fotos:
-Nacktheit ist für mich keine Tabu. Ich habe schon in der Kindheit viele nackte Menschen gesehen. Nur Nacktheit erscheint mir meist fad.
-Ich sehe Frauen lieber in Kleidern und in Bewegung. Erstarrung, noch dazu so lang hingezogene, also Versteinerung des Fleisches erweckt in mir keine positiven Assoziationen. Frauen in Gruppen ebensowenig. Ich denke dabei nur an Unbehagliches oder sehr Schreckliches. So betrachtet, würde mich da nicht einreihen wollen.
-Frauen in kleineren Gruppen kenne ich von FKK-Stränden und der Sauna. Dort allerdings sitzen oder liegen und ruhen sie. Hier sind sie zum Stehen und Durchhalten gezwungen.
-Alle Frauen tragen hautfarbene Strumpfhosen - wenig Schutz bei niedrigeren Temperaturen. Für mich „das Letzte“ – da muß ich an die Strumpfhosen meiner Mutter denken. Vereinfacht ausgedrückt: ich hasse Strumpfhosen, obwohl ich sie natürlich benütze. Die dünneren sind in der Regel zu eng. Es bedarf eines entschlossenen Vorgehens, um sie anzuziehen. Kommt man aus dem Bad, kleben sie. Die Wollstrumpfhosen sind zwar leichter anzuziehen, aber sie tragen auf und kratzen. Egal, ob dünn oder dick – für meine Begriffe sind sie zu kurz; sie sollten in den meisten Fällen bis zu Taille reichen, um nicht das Gefühl zu erzeugen, da rutscht etwas.
-Hier sind es nur junge Rothaarige. Aber ich habe auch Fotos von der ganzen Inszenierung gesehen. Mir würde sowohl an der Kategorisierung, also einem Forschungsunternehmen, etwas liegen als auch an deren Störung oder totalen Verwirrung. Das Statuengleiche müßte nach einer gewissen Zeit verschwinden und die freien Kräfte, die sich dann in der zusammengezwungenen Gruppe gebildet haben, ausgelebt werden können. Das heisst: der Gestaltungswille der Beecroft müsste sich in einen solchen der losgelassenen Frauen-Masse umwandeln könne, nicht in einen banalen Zusammenbruch aus Erschöpfung.
YVONNE ERBER

yvonne erber - 18. Dez, 13:17
Lieber R. R.
----Sie schreiben am 10.12. „Diese gesellschaftliche Selbst-Abstrahierung immer subtiler auszuloten scheint mir überhaupt die [u.a.] aufklärerische Qualität der feministisch-weiblichen Beiträge zur Kunst, bis hin zu etwa zu der m. M. oft zu Unrecht geschmähten Vanessa Beecroft.“
----Ich kann darauf derzeit nicht näher eingehen, sondern will nur Ihren Hinweis aufgreifen und aus dem Interview anläßlich der Performance „VB 55“ in der Neuen Nationalgalerie zu zitieren.
1. Zum Thema Models: „Ich bin vor allem glücklich darüber, dass sich so viele ältere, sehr durchschnittlich aussehende Frauen diesem Experiment öffnen. Ich finde sie sehr schön, aber es sind nicht unbedingt Models. Diesmal gibt es auch keine hohen Absätze, kein Make-up, keine Perücken.“
2. Zum Thema Selbstporträt: „Die Hälfte der Performance bringen die Frauen mit. Ich gebe ihnen ganz knappe Regeln – nicht sprechen, nicht zu schnell bewegen. Den Rest machen sie selbst.“
3. Zum Thema Nacktheit: „Meine größte Angst ist Nacktheit. Ich zeige mich nicht gern nackt. Ich hasse es... Ich wünschte, es wäre egal, dass Frauen Brüste und Hüften haben. Ist es aber nicht. Wenn sich Frauen vor meinen Performances ausziehen, bin ich die Erste, die nicht weiß, wo sie hinschauen soll. Dann gehe ich raus.“
4. Zum Thema Sexismus: „Ich provoziere und will die Reaktionen sehen. Ich glaube auch, dass die Nacktheit diese Frauen stark macht. Aber ich bin nicht mehr ganz sicher, ob ich sie nicht doch erniedrige. Vielleicht müssen die Frauen für meine Performances auch verletzt werden. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich das alles tun muss.“
----Dazu noch die Meinung eines Mannes, der sich an das Fotografierverbot in der Halle gehalten und nur von außen Fotos gemacht hat:
„Am Ende der Performance bleibt das zweidimensionale Bild und eine Ereignislosigkeit in seiner enervierenden Länge. Die Macht, die von den Frauenkörpern ausgehen soll, wird durch die Tatsache getrübt, dass sich im Laufe der Performance immer mehr Models aus Erschöpfung auf die Erde legen. Zudem verstärkt das Aufblitzen von Fotoapparaten eine yoyeuristische Absicht des Publikums. Aufgeschnappte Kommentare reichen dann auch von Vergleichen zu Ingres „Das Türkische Bad“ bis "Das ist ein Spiegel der Gesellschaft" und hin zur Frage, ob es hier auch Sex für umsonst gibt.
Der Anblick von nackten Frauen in durchsichtigen Strumpfhosen, mit Naht, hat auf mich etwas Trostloses. Die vom Publikum umzingelten Frauen sind durch einen Sicherheitsabstand vom Publikum getrennt. Das Personal überprüft die Einhaltung der Regeln. Obwohl die Frauen in ihrer Aufmachung und Anhäufung selbstbewusst und unberührbar wirken, sieht man einigen die Anstrengungen des langen Stehens an. Den müden auf dem Boden liegenden Frauen hätte man gerne etwas zum anziehen geholt. Das Gefühl sie zu beobachten erzeugt Unbehagen. Mit der Zeit habe ich mir lieber die Schauenden als die Angeschauten angesehen.“
----Mehr dazu und anderen Impulsen in den nächsten Tagen.
YVONNNE ERBER
yvonne erber - 17. Dez, 19:35
(zu meinem Eintrag vom 13. Dez, 11:06)
Liebe Yvonne Erber!
Immerhin kennt man sich also mit einem entsprechenden Vornamen auch ein bisschen in entlegeneren Welten aus — wie etwa Sport. Ich turne auch nie, kannte bisher namtlich auch keine Turnerinnen. (Da tauchen nur Bilder von halbverhungert scheinenden Elfen vor meinem inneren Auge auf, die für — aus meiner Sicht — völlig alberne Erfolge mit albernen Körperübungen laaange und entbehrungsreiche Strapazen auf sich nehmen.)
Ich will hier nicht den Kapriziösen geben, aber bin anhaltend unsicher, etwas sagt mir, ich sollte "meine" Yvonne hier nicht näher beschreiben, es sprengte den Rahmen, und — als tatsächliche Bloßlegung — womöglich auch den "Kommunikationsprozess": Jene Yvonne repräsentiert für mich etwas Unreines, seine Idee - und wie sie als Zweifelhaftes dennoch unausschöpflich wäre, also anderswie unbedingt fruchtbar und anziehend. Kann man sich da noch verständigen?
Was mich dann umstandslos zu den Grenzen, Grenzsituationen bringt, zumindest in solchen Randgebieten von Öffentlichkeit, von Intimität und Geständniszwang, von Verheimlichung und Selbstausstellung wiederum.
Zwei tatsächliche Titel von mir für Denkbausteine in diesem virtuellen Raum lauten "
Niemand-sein" (also weitergehend als nur Anonymität auch die ideale Standpunktlosigkeit, die eigene Nicht-Verortbarkeit) und "
Alles sagen" (bis vom Grund so zusagen ebenso von Abstraktion und wiederum Selbstheit, da wo man auch in den Formulierungen am Rand der Sprache, an der Grenze operiert.
Aber das hat natürlich auch etwas Verschmocktes, etwas ambitioniert Pretenziöses. Und wer folgt einem da schon? Ja, da gibt sich die Vergangenheit als etwas angeblich Herleitbares zugänglicher. Dabei ist sie ebenso eine nur je aktualisierte Konstruktion ihrer selbst.
Spannend... ja, woher rühren diese Spannungen in einem, die tatsächlich körperlichen, bei den vermeintlichen Urszenen? Hat es sie gegeben? Aus was hat man sie gebaut? Wozu sind sie einem heute wichtig, konstituierend gar? Aus welcher Perspektive müsste man sie ansehen, um je ihren Anteil an Entwicklung aus etwas Vorgefallenem und dem aus dem Drang nach ihrer Schlüssigkeit zu sehen? Sind nicht oft unsere Erklärungen
Verklärungen?
Aber in einem solchen Fall wie dem angedeuteten bleibt wohl immer die Dimension von Un-Erhörtheit, sie geht mit Re-Konstruktionen - und auch mit dem Ausplaudern - nicht weg. Und gerade Familien haben ja ihre "Traditionen" von Erzählungen und Verklärungen, regelrechte Mythen, wo es dann anlässlich von Zusammenkünften eher um emotionalen Zusammenhalt und Glättungen von Konfliktspannungen geht, statt um einen unverstellten Blick auf die rohen Tatsächlichkeiten und die Bewertung der Handelnden. Das immerhin wäre der Vorteil der Verrohung: sie namhaft zu machen! Zeige Deine Wunde! (Und hieße sie... wie auch immer, etwa Yvonne.)
Aber das Zeigen ist selbst ambivalent, wessen Aufmerksamkeit erhofft man sich, welche nimmt man in Kauf, mit welcher wird heimlich gerechnet? Was mich wieder zu dem Verschwinden bringt... und dann auch wieder zu so etwas wie Körpergröße: Heute bin ich meist ganz froh, auch darin nicht hervorzuragen — es begünstigt die Position des Beobachters. Und damit bin ich dann beim Voyeur.
Weder im technischen noch im geläufigen Definitionssinne sehe ich mich als Voyeur; allerdings, habe ich gemerkt, es eine fruchtbare, oft anderswie weiterführende Rolle!
Eigentlich bin ich nicht einmal ein vorwiegend visueller Typ, kaum Augenmensch (außer was eine Disziplin wie die Malerei angeht... aber da wirken auch andere Übersetzungen). Und deshalb sehe ich mich auch nicht (außer im technischen Sinne) als Fotograph, sondern mache mir visuelle Notizen, mache Beobachtungen, schicke Blicke aus... erdenke mir visuelle Erprobungssituationen. Dann aber stellt man leicht fest: Es grenzt eben ans Wunder, was man beobachten kann, wenn man nur genauer hinsieht. Und solcherart Empirismus plus das innere Beteiligtsein dabei, das ist dann Quelle wiederum für alles mögliche andere.
Das Schlüsselloch als Okular... das war tatsächlich nur ein Kinderspiel, und ich hatte es fast vergessen. Ich bin außerdem kurzsichtig, und auch von daher gar nicht so sehr auf Augenhunger geprägt. Allerdings versuche ich manchmal, auch hier wieder nah an jene Urszenen zu kommen, um eine Betrachtungsdistanz auf- und für mich selber auszumachen. Klänge es nicht so anmaßend, würde ich es eher (naiv-)naturwissenschaftlich sehen: Selbst wenn man nur sein bisschen Populärwissen anwendet, kommt man darauf, dass in den Übergängen, den Interfaces, den Unschärfen auch zwischen Innen + Außen, Mikro + Makro, wahr + falsch usw. sowohl die Erlebnis- und also die Erfahrungsräume liegen, als auch die Relativitäten der Beobachterpositionen. Letztlich geht es um so was wie Blickhoheit. Von wo aus kann etwas (störungsfrei) beobachtet werden? Moral ist da wieder nur hinderlich. Und der Voyeur ist einsam. Er verbringt die allermeiste Zeit mit Warten, und auch seine schließlich raren Sensationen leuchten den allermeisten, sich mit dem Naheliegenderen Beschäftigenden kaum ein.
Interessiert Sie das Thema? Es gibt ein riesiges Journal über fast zwei Jahre Beobachtung, das einmal durchgesehen werden müsste. Der Bereich der Entdeckungen liegt allerdings bei den haarfeinen Differenzierungen im Gewöhnlichsten, im Persönlichen, im Entlegenen... im Spekulativen. (Und die zahlreich nebenher entstandenen, so zu sagen zugleich ironischen wie — um es beschreibend beglaubigen zu können - tatsächlichen Fotographien, die wohl auch etwas Spektakuläres hergäben, kann man ja schon wegen den Persönlichkeitsverletzungen nicht zeigen).
Das wäre ein neues fruchtbares Stichwort: Persönlichkeitsverletzung.
Wer wären wir, wie leer und eitel, wenn wir nicht früh und immer wieder verletzt würden, wenn wir nicht unsere Seelen und Wunden zu verarzten hätten? Wenn es diese stillgestellte, schmerzlose Welt erst gibt?
Wohl gemerkt, ich habe eine lächerlich große Angst vor Schmerzen! Und jede Neigung zum Leiden geht mir ab. Trotzdem - deshalb? - ist aber auch mir so eine beispielgebende Figur am Kreuz sehr nahegehend, und selbst die schwüle Geißelungserotik der Mystikerinnen und der fleißigen Näherinnen an den Vorhäuten Christi leuchtet mir an einem entlegenen Punkt meines Vermögens mich da einzufühlen auch ein. Vielleicht teilen wir sogar hier einiges in diesem Bereich der durch kirchliche Scham erst erzeugten religiös-sexuellen Versuchungen. Und immerhin womöglich auch ein bisschen Inbrunst. Aber das gehört ja alles nicht hier hin.
Zum "Weiterschreiben" gibt es schon ein paar Überlegungen, und natürlich teile ich Sie Ihnen bei soviel Interesse demnächst auch mit. (Und jede Anteilnahme ist ja, zumindest in dieser Mindestbewegung zu einer Selbstsystematisierung hin, auch weiterführend.)
Was diese unselige Paris Hilton angeht, habe ich das schon mal dargelegt (haben Sie den Text aus dem alten Blog "Credo über Paris Hilton als kommender Gott! " vom 01. Februar 2006?). Ich denke, wir sollten ihr dankbar sein, dass sie für uns diese Art Leben ein Beispiel lebt: Sie ist eine Stellvertreterin. Sie klärt uns über gewisse Seiten unserer selbst auf. So können wir sie uns ersparen. Dabei ist sie doch tatsächlich die nahezu perfekte Verkörperung unseres Ideals?
Den — in meiner Lesart grundlegenden - Satz von Pasolini, bin ich jetzt nicht anmaßend genug, zu deuten. Nehmen Sie ihn wörtlich. Ich denke, dann erschließt er sich unvermeidlich (selbst wenn man nichts von Pasolini, von SEINEM Stellvertreterkampf auf Erden weiß).
Zu Ihren Fragen:
1. In beiden Fällen "ja", ich kenne solche Leute — und auch in der je umgekehrten Konstellation. (Vielleicht kennen Sie jemand, der Ihnen ein Heft der neuen "Tempo" leiht - die eventuell vor Ärger oder Trauer fälligen Taschentücher werden Sie in Ihrer Handtasche haben. Aber es gibt darin unter dem meist kaum brauchbaren 1 Artikel von Claudius Seidl, "Kinder an der Macht", der viel über die unausweichliche Vulgarität unserer Zeit sagt, und der es m.M. nach mehr als wert ist.)
(Oder, mehr "Informationsquelle" als solche eine launige Betrachtung braucht es oft nicht, klicken Sie mal hier:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,452808,00.html )
2. Meine Verzweiflung ist natürlich nur lächerlich und ganz unbedeutend — aber sie ist eben die, die mich quält. Zu "pflegen" ist da nichts, der Vulgarität, der Unsäglichkeit meiner Mitmenschen ist gar nicht zu entkommen. Aber es ist auch eitel, das zu sagen, es ist eben mein Anteil, dem nicht zu entkommen ist. Das bisschen Schmerz... "Die Hölle — das sind die anderen." (Sartre) Aber ich bin ja auch anderen ein Anderer. Ansonsten hilft nur "work — don't cry".
R. R.
yvonne erber - 16. Dez, 13:29
Liebe Yvonne.
Plötzlich hab ich viel zu tun, jedenfalls bis vor Weihnachten. Schreibe jetzt erstaunlicherweise einige Reden auf Bestellung, auch für einige Firmenchefs.
Ich wusste gar nicht, dass mir zum Thema Mittelstand und Weihnachten so viel einfällt. Vielleicht legt sich jetzt auch eine Schiene zur Gewerkschaft. Zum Beispiel zum Thema Kinderarbeit – da die Post für die Verteilung von Katalogen, Prospekten und Handzetteln Jugendliche ab 13 Jahren sucht. Die Gewerkschaft fürchtet, dass mit diesen für die Zeit nach dem Ende des Briefmonopols ein Zustellnetz aufgebaut wird. Da wären schon einige Pro-Argumente anzuführen: Einübung in Verlässlichkeit, Zeitplanung; dazu vermehrte soziale Kontakte, Förderung des Selbstbewusstseins! ;-)
Das kommt zum normalen Arbeitsaufwand hinzu. Ausserdem bin ich nicht gerade im Gesundheits-Normalzustand. Positiv: ich habe – nach einem Jahr Pause – nicht wieder mit dem NuvaRing begonnen, sondern bin auf Anraten meiner Gynäkologin auf das Pflaster umgestiegen und hatte das erste Mal einen normalen „Besuch“, allerdings etwas verwirrend, was die Dauer betrifft. Man muss es dreimal wechseln, eine Woche Pause. Ich finde das sehr praktisch. Der Pearl-Index entspricht dem der Pille. Aber ich will hier ja keine Werbe-Tour starten! ;-)
Mein Abreise wird sich nun wohl etwas verzögern. Ich hatte leider keine Zeit, mich um Hrn. TWO zu kümmern. Er hat aber noch einige hübsche architettura-venezia-Schnappschüsse eingestellt. Yvonne, sollten Sie nicht auch einmal Ihre Biennale-Impressionen herzeigen?
Er hat schon jetzt einen kurzen, aber rührenden Rückblick gemacht. Und zu 2007, im Vorausblick: es sei „wertvoll, was noch kommt“.
Keine Spur von Depression, die mir Sorgen machen würde. Ich selbst bin ja, trotz der Arbeits-Anstrengung, auch recht gut gelaunt, allerdings ständig übermüdet. Ich hoffe, Sie sind und bleiben entspannt.
Liebe Grüße!
Michaela
PS: Das da unten wäre Nr. 2 aus der Reimphase. Jetzt sehe ich, dass der deutsche Reim nicht so schwierig ist, wie ich früher dachte. Das verdanke ich einzig und allein dem Contest des Hrn. Sebas (http://www.blog-bistro.de/)
LIEBE ZU WEIHNACHTEN
Die fremde Liebe, die eigene, alles vermischt
sich. Wenn Freude über Freunde aufkommt, erlischt
ein vielleicht früher mich zutiefst beherrschender Neid.
Ich trage jetzt ein weisses Christkind-Versandhauskleid
und darunter ein hell blinkendes Verhütungspflaster
auf meinem glatten linken Oberschenkel – alle Laster,
die du mit deiner Golf-di-Napoli-Liebsten verdienterweise
praktizieren wirst, praktiziere ich hier ganz still und leise
vor schweigenden Zuschauern am Rathaus-Christkindlmarkt,
mit keinem Gedanken an Ohnmacht oder gar Herzinfarkt,
nicht von mir, nicht der gierigsten Voyeure, nicht der Mittäter.
Und du, der schon im Blog beglückt einen halben Kilometer
geschrieben hat, um auch mir auf diese Weise entgegenzugehen,
damit immer wieder neue Bilder meiner Sehnsucht entstehen,
verwirrend und klärend in meinem Kopf, aber auch in vielen andern,
die dann begehrenswert schön über die Grenzen wandernd
die Pforten der Wahrnehmung blitzartig erweitern,
jedes Liebesbemühen aufstacheln und auch erheitern –
du verdoppelst den Satz: Liebe, da sind wir! Da sind wir!
Wir sind tatsächlich da, in der Freiheit der Beziehungen, dafür
sind wir über Entfernungen und Mißverständnisse hinweg umschlungen,
lachend und Blinkzeichen versendend ineinander eingedrungen:
wir – diese Usurpatorin, die ich gern gewesen wäre und nun auch bin,
die dich gereizt hat, umwedelt mit Wortgerüchen, Kellnerin
der Provokation; und du, in deiner Liebe voller Vorsicht
und Ungeduld, die einer anderen gilt, einem mir unbekannten Gesicht,
dem ich nächtliches Strahlen zubillige, das auch mich erfasst,
wenn ich auf dem Schenkel nach meinem Gold-Pflaster tast
und mir vorstelle, dass es einen muskulösen Ersatzmann geben wird,
der das, was ich für dich fühle, erfüllend an deiner Stelle spürt.
So hält hier der adventöse, dann weihnachtliche Tatendrang Einzug:
der Erstbeste, Briefträger oder Betrüger, egal: mit einem Ruck
wird er auf den Boden geworfen, überhäuft mit Hemmungslosigkeiten -
du siehst: auch bei mir beginnen jetzt realistische Zeiten!
yvonne erber - 15. Dez, 14:09
(zum Mail von Michaela, 10. Dez, 14:21)
10.12.06
Nur eine Anm. zu Cindy Sherman, weil sie, glaube ich, mit den "Facetten ihrer Persönlichkeit" etwas über uns alle sagt, über die Persona (und das ist wiederum Kennzeichen des Amerikanischen ihrer Kunst: Mehr auf dem Punkt, selbstbezogener und zugleich näher an und gespeist aus den mordenen Vorgaben und den Ressourcen á la "Businesslife", "american women's life" oder "Hollywood"):
Aber diese Facetten müssen noch einmal querverbunden-kreuzverrechnet werden mit eben den Vor-Bildern, den gesellschaftlich vorformatierten Äußerlichkeiten als Zustände, in denen dann andere wieder als Subjekte auftauchen, indem sie es nicht sind, sich aber darin erkennen oder zu erkennen geben (oder sich zu erkennen zu geben können glauben... usw. ad infinitum), diese Verkleidungen also ihrerseits benutzen, um darin auftauchen zu können als Teil ihres angeblich eigenen "Wesens", als maskiertes Gefühl, als Ausgabe der postmodernen Rollen-Vielfalt: Hier passte diese Metapher vom Möbiusband, das unendlich ineinander verschlungen bleibt.
Diese Unendlichkeit ist schon ein Abgrund in sich und kann Angst machen, weil nämlich nichts innerhalb seiner Bewegung fein säuberlich in Original und Kopie, in Anfang und Ende, in Herkunft und Anverwandlung... in brav-binäre Kausalitäten getrennt werden kann. Sind es aber nicht eben solche Kategorien, mit deen wir ständig operieren? Wo also liegen da unsere Gewissheiten? Wir, unsere Gefühle, unser Selbst... sind auch selber diese Formatierungen durch diese Bilder, die wir von uns abgeben - wir geben uns ein "Sendeformat" (ein Imago, ein Abziehbild, einen Look... ein Schwindelmachen von Anschein). Und sind dann wiederum anderswo durch andere als "Persönlichkeit" zu ent-decken. Wo ist das Ich, wer das Selbst, was ist der „Kern“?
Das klingt erst einmal banal, aber schon in der ersten ernsthaft zugelassenen Drehung dieser Spirale beginnt der Schwindel. Dass hinter den sekündlich wechselnden Spiegel-, den täglichen Mode- und Gefühlssausgaben von uns tatsächlich etwas Fragmentiertes liegt, dies zu erkunden... darin, denke ich, liegen die Qualitäten von Sherman. Diese je abgründigen Dimensionen bei all unseren Selbst-Operationen mit aufzuzeigen dabei.
Ich weiß, solche Verallgemeinerungen [wieder mal!] sind dumm, aber sie sind eben eine der grundlegenden unserer Operationen:
Diese gesellschaftliche Selbst-Abstrahierung immer subtiler auszuloten scheint mir überhaupt die [u.a.] aufklärerische Qualität der feministisch-weiblichen Beiträge zur Kunst, bis hin zu etwa zu der m. M. oft zu Unrecht geschmähten Vanessa Beecroft.
Die "Suche nach dem eigenen Ich" ist angesichts des Überbordens seiner Zuströme eine gesellschaftlich hoch relevante. Und hierin substanzieller als viele der immer noch nach "Schocks" suchenden oder Formalismen erforschenden oder Ein-Ideen-Systeme wiederholenden Männer.
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Interessant die Idee, für ein Selbstportrait - und wie folgerichtig also! - gar nicht mehr "selber" abgebildet werden zu müssen. Ich bin Du.
Dazu fällt mir noch ein Satz von einer Nicht-Fotographin ein: "Jedes Foto ist ein Selbstportrait des Fotographen." (Isabelle Huppert hat das gesagt, anlässlich der Vorstellung eines Buches, das ausschließlich Fotographien von Isabelle Huppert enthielt. Ich frage mich, wie das Ich einer Person in solcher Situation aussieht, wohin es in dieser Spirale des Selbst-Schwindels mit sich gelangt ist?)
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Irritierend für mich die Idee der "Verschmelzung". Ist sie nicht auch im "materiellen Modus" des Fotos eine ideenhafte, eine ideelle? Und kann sie nicht gerade, weil sie notwendig unscharf ist, also nicht 100% deckungsgleich mit der Idee der Künstlerin, als Idee (oder Wunsch dahin) nicht sogar vollkommener sein? (Die Idee der Vollkommenheit als eine unendlich verzögerte Annäherung dahin.)
Oder hat die "Materialisierung" wieder etwas mit der Lust der Frauen zu tun, die Rolle tatsächlich einmal anzuprobieren (sie konkret anzuziehen und sich darin vor dem Selbst-Spiegel zu besehen), statt es (wie die Männer) bei der Idee zu belassen (bei der Auswahl unter den zwei drei naheliegendsten Kleidungsstücken eines zu wählen: Nur raus hier!)?
(Eines meiner ersten Foto-Projekte, wo ich mich traute, einmal heimlich auf mich selber zu sehen, war, mich mit dem Selbstauslöser in meinen diversen Klamotten und Anzügen und Rollen-out fits vor einer weißen Tür zu fotographieren. Leider spürte ich aber nur, wie ich mich kaum innerlich verwandelte dabei, im Gegenteil sogar um eine Konsistenz bemüht war, identisch sein wollte: Man hätte diesen Versuch sogar als weibisch ansehen können, als "unmännlich" [= die allergrößte Furcht von vielen Männern - und wie schmerzhaft formatiert ist das?]. Und außerdem war ich es zu wenig gewohnt, "flüssiger" mit diesen Wechselspielen umzugehen. Ich kam nicht einmal anders hindurch die Tür, die hinter mir verschlossen war.
Ich glaube, das Wort "Verschmelzung" frappiert mich hier wegen der letztlich erotischen Konnotation, der Vorstellung, noch im Selbst-Verlust (in den Serien unendlicher Verkleidungen, über ganze Katalogstrecken des eigenen Lebens... in einer Hingabe an Selbst-Bilder) gar nicht als erste Person aufzutauchen, und doch im "fließenden" Wechsel letztlich mehr im glückhaften Zwischenraum, in der Umkleidekabine eben leichter im Übergang von allem zu allen zu sein: endlose Hingabe, die ewige Orgie.
Anscheinend sind die Männer viel mehr im Irrglauben über ihre Bevormundungen, verblendet von ihrer vermeintlich behrrschten (im doppelten Sinne) "Identität", als die notorisch sich als fremd-bestimmt sehenden, und darin längst Spielraum und ein Mehr an Ausdrucks-Identitäten (und Intensitäten) gefunden habenden Frauen. Vielleicht ist schon die größere Souveränität der Wahl ihr größerer Möglichkeitsraum, ist die Reserviertheit gegenüber der Idee eines angeblichen Kerns die Bedingung seiner Infragestellung? Eine Art Vorform wiederum einer Abstraktion - weg von der alten empathisch-verblendeten - von "Freiheit"?
(Im Modus der Wissenschaft: Männer gehen hin und spalten die Kerne immer noch einmal.
Im Modus der Mode: Wenn man alle couturiers trägt [alle Masken, alle Verkleidungen] und sie täglich wechselt, ist man dann nicht dem Diktat des einen [dem Gefängnis der Identität] entkommen? Nur der Mode [den Selbst-Bildern] entkommt man nicht. Nur nicht den Ideen von einem Kern, in dem etwas wirklich von uns „selbst“ gerettet wäre.)
Cindy Sherman, Porträt von Martin Schoeller

yvonne erber - 14. Dez, 12:10