yvonne erber - 19. Dez, 14:27
liebe acuto!
---ich bin erst vor kurzem wieder auf ihre seite gestoßen, erstaunt über die veränderungen! dieser beitrag hat mich aus mehreren gründen beeindruckt. als hauptsache erscheint mir, dass hier ein ding, ein kleidungsstück, ihre familiengeschichte repräsentiert.
----dieser handgestrickte „hellbraun melierte“ pullover stammt – wie sie selbst – von ihrer mutter und übernimmt daher auch deren stellvertreterfunktion. anhand der erzeugerin und der trägerinnen und träger dröseln sie familienbeziehungen auf.
----sie zeichnen eines schönes bild ihrer stets für ihren vielköpfigen nachwuchs unentwegt tätigen mutter und erklären abmessungen und konsistenz des pullovers mit der dauer und vielfalt der verwendung.
----den pullover nehmen sie wie einen gleichartigen partner wahr: sie schreiben „wir“! oder übernimmt er vielleicht auch die rolle der ausgebliebenen männlichen helfer beim gartenanlegen und autoreparieren?
----er zeigt auch die seit seiner produktion vergangene zeit durch seine vergrößerung und verlängerung auf 2 meter an!
---er ist nicht nur ihre „herberge“, sondern schafft es auch noch, „brüder&schwestern“ unterzubringen – ein, wie sie schreiben – „Ungetüm“!
---ihre liebe zu ihm geht sogar so weit, als würden sie mit ihm ein hochzeitsversprechen eingegangen sein: bis der tod euch scheidet!
---schön finde ich, dass die ästhetik keine rolle spielt, sondern nur die funktion und die „treue“!
---ich selbst könnte so etwas von mir nicht behaupten. es gibt aber einiges in meiner garderobe, was nicht nur der erinnerung dient. am ältestesten ist das cremefarbene hochzeitskleid meiner mutter. es wurde von einer freundin angepasst. ich habe es bis jetzt erst einmal, nämlich bei der silvesterfeier einer modeschöpferin vor einigen jahren getragen. alle anderen kleider von ihr habe ich bei verschiedenen gelegenheiten zerschnitten. nie ist etwas für mich tragbares daraus geworden.
---sehr lange hat mich ein indisches kleid begleitet, das ich mir nach der matura gekauft habe. es hat viele feste, feiern, vernissagen usw. mitgemacht. inzwischen kamen die langen ärmel weg, damit ich es auch im sommer tragen kann. es hat einen schwarzen samtsattel, einen mit längsnähten verstärkten mittelteil und einen schwarzen rock mit rotem blumenmuster. leider sind die nähte inzwischen recht brüchig geworden.
---sehr gerne habe ich zwei leichte schwarze mäntel, die ich vor 10 jahren auf einem flohmarkt in amsterdam gekauft habe. typisch 50er jahre, wozu ich eine gewisse affinität habe, damit zur kindheit meiner mutter.
---sie sehen, acuto, nichts reicht an ihren in allen lebenslagen praktischen und herzwärmenden mutterpullover heran!
YVONNE ERBER
Zu:
acuto - 16. Dez, 14:59
Dinge mit Geschichte sind mir die allerliebsten. Ob ich ihre Geschichte kenne, ist nicht gar so wichtig. Die von meinem Wohnpullover kenne ich jedoch. Er ist schon recht betagt und hat sehr viel erlebt in seinem langen Dasein. Nicht nur mit mir zusammen.
Ursprünglich - es ist viele Jahre her - strickte ihn meine Mum für den Liebsten meiner Schwester. Und weil meine Mum viele Kinder hat, kocht sie nicht nur grundsätzlich doppelt so viel, wie eigentlich not täte, sondern befürchtet auch ständig, dass die vielen Dinge, die sie näht, strickt und werkt, zu klein sein könnten. Wahrscheinlich ist das verinnerlichte Bewusstsein, dass all die vielen Kinder und Kindeskinder immer viel zu schnell aus ihren Kleidungsstücken herauswuchsen, schuld daran, dass sie lieber ein bisschen größer als zu knapp werkelt. Jedenfalls war jener Pullover - er ist hellbraun meliert - dem Schwesterliebsten von Anfang an ein bisschen zu groß. Was nichts ausmachte, denn damals studierte er noch und niemand krähte danach, wenn sein Outfit etwas schlabbrig daherkam.
Vielleicht lag es daran, dass er vom ersten Tag seiner Existenz an großes Format ge-wohnt war und dies als Karma verstand - niemand konnte sich erklären, wie es möglich war, fest stand nur, dass der Pullover im Lauf der Zeit immer größer wurde. Er behielt zwar seine Form, aber irgendwann erreichte er ein Ausmaß, dass diese nur noch zu erkennen war, wenn man ihn flach auf den Boden legte. Der Schwesterliebste fand das gar nicht erbaulich. Er hatte ohnehin mehr Draht zu edlem Zwirn als zu Handgestricktem, und dass ein Pullover, dessen Aufgabe doch selbstloses Wärmen war, einfach selbstherrlich zum Zelt gedieh, ging ihm entsetzlich wider die Facon. So kam es, dass das gute Stück ihn zwar jahrelang begleitete, bald aber nur noch zusammengefaltetes Zeltdasein im untersten Schrankfach fristete. Ob er während dieser Zeit der Enklave still und leise weiterwuchs - niemand weiß es, aber ich traue es ihm zu.
Die Schwester und ihr Liebster trennten sich irgendwann und verbandelten sich neu. Und wie es das Leben so wollte, war die neue Liebste des Schwesterexliebsten eine meiner besten Freundinnen, die ihn mitsamt ungeliebtem Pullover liebevoll bei sich aufnahm. Wieder vergingen Jahre. Mittlerweile beherrschte der edle Zwirn den Schrank, und zuguterletzt ging es auch dem melierten Ungetüm an die unsäglich weite Substanz. Er nahm einen halben Kleidersack für sich allein in Anspruch, als ich zufällig zu Besuch kam und anlässlich dessen entsetzlich fror. Praktisch veranlagt, befreite ihn die Freundin aus seinem Plastikgefängnis, und er und ich verbrachten einen überaus wohlfühlig kuschelichen Nachmittag zusammen, an dessen Ende mir offeriert wurde, ob ich ihn nicht adoptieren wolle.
Ich hatte ihn trotz oder wegen seiner unseligen Farbe wie Form schon längst ins Herz geschlossen und so wechselte er, ohne dass es schmerzlicher Bruch für ihn gewesen wäre, fließend den Besitzer. Seitdem füllt er bei mir fast gänzlich ein Schrankfach.
Ich liebe diesen Pullover. Schmutzunempfindlich und überaus warm begleitet er mich nun schon viele Jahre. Wir haben gemeinsam drei Gärten angelegt, an Autos und anderem Gelumpe gebastelt, sind durch Wald und Feld gezogen und abends hat er mir so manche Fröstelei vertrieben. Das schöne an ihm ist, dass ich beliebig viele andere Pullover unter ihm tragen kann, ohne dass es sonderlich auffällt. Egal, wieviel er beherbergt, es würde immer nochmal so viel in ihn hineinpassen. Die Schulternähte sitzen (ähm, hängen) auf einer Höhe mit meinen Ellbogen, und wenn ich sitze, kann ich sogar meine Knie mit ihm wärmen. Sein Umfang beträgt mittlerweile an die zwei Meter. Und die braunmelierte Substanz ist so robust, dass ihm niemand sein Alter ansieht. Ob er waschbedürftig ist, lässt sich nur olfaktorisch und mit Blick in den Kalender feststellen. Ich habe nicht mal Problem damit, Vorne von Hinten zu unterscheiden, denn er hat ei-nen spitzen Ausschnitt, der - wenn ich meinen Freund und Wärmer an mir zurechtpussle - lässig unter meine Möpse spitzt.
Das einzige, was er nicht verträgt und wogegen er sich so vehement wie effizient wehrt, ist der Versuch, ihn seinerseits unter etwas anderem zu verbergen. Das lässt er nicht zu. Will ich verhindern, dass er Mantelknöpfe sprengt und Jackenärmel bewegungssteif verstopft, muss ich mit angemessenem Selbstbewusstsein zu ihm stehen. Mach ich aber gern, denn ich liebe ihn sehr. Und wenn ich ihn mir so anschaue, halte ich es für durchaus denkbar, dass er mich bis zur Bahre begleiten wird - meinereine im Lauf der Zeit immer kleiner werdend, er dafür unverändert wachsend. Gut möglich, dass er zu gegebener Zeit eine prima braunmelierte Sargdecke abgeben wird. Aber bis dahin haben er und ich hoffentlich noch viel gemeinsame Geschichte vor uns.
---ich bin erst vor kurzem wieder auf ihre seite gestoßen, erstaunt über die veränderungen! dieser beitrag hat mich aus mehreren gründen beeindruckt. als hauptsache erscheint mir, dass hier ein ding, ein kleidungsstück, ihre familiengeschichte repräsentiert.
----dieser handgestrickte „hellbraun melierte“ pullover stammt – wie sie selbst – von ihrer mutter und übernimmt daher auch deren stellvertreterfunktion. anhand der erzeugerin und der trägerinnen und träger dröseln sie familienbeziehungen auf.
----sie zeichnen eines schönes bild ihrer stets für ihren vielköpfigen nachwuchs unentwegt tätigen mutter und erklären abmessungen und konsistenz des pullovers mit der dauer und vielfalt der verwendung.
----den pullover nehmen sie wie einen gleichartigen partner wahr: sie schreiben „wir“! oder übernimmt er vielleicht auch die rolle der ausgebliebenen männlichen helfer beim gartenanlegen und autoreparieren?
----er zeigt auch die seit seiner produktion vergangene zeit durch seine vergrößerung und verlängerung auf 2 meter an!
---er ist nicht nur ihre „herberge“, sondern schafft es auch noch, „brüder&schwestern“ unterzubringen – ein, wie sie schreiben – „Ungetüm“!
---ihre liebe zu ihm geht sogar so weit, als würden sie mit ihm ein hochzeitsversprechen eingegangen sein: bis der tod euch scheidet!
---schön finde ich, dass die ästhetik keine rolle spielt, sondern nur die funktion und die „treue“!
---ich selbst könnte so etwas von mir nicht behaupten. es gibt aber einiges in meiner garderobe, was nicht nur der erinnerung dient. am ältestesten ist das cremefarbene hochzeitskleid meiner mutter. es wurde von einer freundin angepasst. ich habe es bis jetzt erst einmal, nämlich bei der silvesterfeier einer modeschöpferin vor einigen jahren getragen. alle anderen kleider von ihr habe ich bei verschiedenen gelegenheiten zerschnitten. nie ist etwas für mich tragbares daraus geworden.
---sehr lange hat mich ein indisches kleid begleitet, das ich mir nach der matura gekauft habe. es hat viele feste, feiern, vernissagen usw. mitgemacht. inzwischen kamen die langen ärmel weg, damit ich es auch im sommer tragen kann. es hat einen schwarzen samtsattel, einen mit längsnähten verstärkten mittelteil und einen schwarzen rock mit rotem blumenmuster. leider sind die nähte inzwischen recht brüchig geworden.
---sehr gerne habe ich zwei leichte schwarze mäntel, die ich vor 10 jahren auf einem flohmarkt in amsterdam gekauft habe. typisch 50er jahre, wozu ich eine gewisse affinität habe, damit zur kindheit meiner mutter.
---sie sehen, acuto, nichts reicht an ihren in allen lebenslagen praktischen und herzwärmenden mutterpullover heran!
YVONNE ERBER
Zu:
acuto - 16. Dez, 14:59
Dinge mit Geschichte sind mir die allerliebsten. Ob ich ihre Geschichte kenne, ist nicht gar so wichtig. Die von meinem Wohnpullover kenne ich jedoch. Er ist schon recht betagt und hat sehr viel erlebt in seinem langen Dasein. Nicht nur mit mir zusammen.
Ursprünglich - es ist viele Jahre her - strickte ihn meine Mum für den Liebsten meiner Schwester. Und weil meine Mum viele Kinder hat, kocht sie nicht nur grundsätzlich doppelt so viel, wie eigentlich not täte, sondern befürchtet auch ständig, dass die vielen Dinge, die sie näht, strickt und werkt, zu klein sein könnten. Wahrscheinlich ist das verinnerlichte Bewusstsein, dass all die vielen Kinder und Kindeskinder immer viel zu schnell aus ihren Kleidungsstücken herauswuchsen, schuld daran, dass sie lieber ein bisschen größer als zu knapp werkelt. Jedenfalls war jener Pullover - er ist hellbraun meliert - dem Schwesterliebsten von Anfang an ein bisschen zu groß. Was nichts ausmachte, denn damals studierte er noch und niemand krähte danach, wenn sein Outfit etwas schlabbrig daherkam.
Vielleicht lag es daran, dass er vom ersten Tag seiner Existenz an großes Format ge-wohnt war und dies als Karma verstand - niemand konnte sich erklären, wie es möglich war, fest stand nur, dass der Pullover im Lauf der Zeit immer größer wurde. Er behielt zwar seine Form, aber irgendwann erreichte er ein Ausmaß, dass diese nur noch zu erkennen war, wenn man ihn flach auf den Boden legte. Der Schwesterliebste fand das gar nicht erbaulich. Er hatte ohnehin mehr Draht zu edlem Zwirn als zu Handgestricktem, und dass ein Pullover, dessen Aufgabe doch selbstloses Wärmen war, einfach selbstherrlich zum Zelt gedieh, ging ihm entsetzlich wider die Facon. So kam es, dass das gute Stück ihn zwar jahrelang begleitete, bald aber nur noch zusammengefaltetes Zeltdasein im untersten Schrankfach fristete. Ob er während dieser Zeit der Enklave still und leise weiterwuchs - niemand weiß es, aber ich traue es ihm zu.
Die Schwester und ihr Liebster trennten sich irgendwann und verbandelten sich neu. Und wie es das Leben so wollte, war die neue Liebste des Schwesterexliebsten eine meiner besten Freundinnen, die ihn mitsamt ungeliebtem Pullover liebevoll bei sich aufnahm. Wieder vergingen Jahre. Mittlerweile beherrschte der edle Zwirn den Schrank, und zuguterletzt ging es auch dem melierten Ungetüm an die unsäglich weite Substanz. Er nahm einen halben Kleidersack für sich allein in Anspruch, als ich zufällig zu Besuch kam und anlässlich dessen entsetzlich fror. Praktisch veranlagt, befreite ihn die Freundin aus seinem Plastikgefängnis, und er und ich verbrachten einen überaus wohlfühlig kuschelichen Nachmittag zusammen, an dessen Ende mir offeriert wurde, ob ich ihn nicht adoptieren wolle.
Ich hatte ihn trotz oder wegen seiner unseligen Farbe wie Form schon längst ins Herz geschlossen und so wechselte er, ohne dass es schmerzlicher Bruch für ihn gewesen wäre, fließend den Besitzer. Seitdem füllt er bei mir fast gänzlich ein Schrankfach.
Ich liebe diesen Pullover. Schmutzunempfindlich und überaus warm begleitet er mich nun schon viele Jahre. Wir haben gemeinsam drei Gärten angelegt, an Autos und anderem Gelumpe gebastelt, sind durch Wald und Feld gezogen und abends hat er mir so manche Fröstelei vertrieben. Das schöne an ihm ist, dass ich beliebig viele andere Pullover unter ihm tragen kann, ohne dass es sonderlich auffällt. Egal, wieviel er beherbergt, es würde immer nochmal so viel in ihn hineinpassen. Die Schulternähte sitzen (ähm, hängen) auf einer Höhe mit meinen Ellbogen, und wenn ich sitze, kann ich sogar meine Knie mit ihm wärmen. Sein Umfang beträgt mittlerweile an die zwei Meter. Und die braunmelierte Substanz ist so robust, dass ihm niemand sein Alter ansieht. Ob er waschbedürftig ist, lässt sich nur olfaktorisch und mit Blick in den Kalender feststellen. Ich habe nicht mal Problem damit, Vorne von Hinten zu unterscheiden, denn er hat ei-nen spitzen Ausschnitt, der - wenn ich meinen Freund und Wärmer an mir zurechtpussle - lässig unter meine Möpse spitzt.
Das einzige, was er nicht verträgt und wogegen er sich so vehement wie effizient wehrt, ist der Versuch, ihn seinerseits unter etwas anderem zu verbergen. Das lässt er nicht zu. Will ich verhindern, dass er Mantelknöpfe sprengt und Jackenärmel bewegungssteif verstopft, muss ich mit angemessenem Selbstbewusstsein zu ihm stehen. Mach ich aber gern, denn ich liebe ihn sehr. Und wenn ich ihn mir so anschaue, halte ich es für durchaus denkbar, dass er mich bis zur Bahre begleiten wird - meinereine im Lauf der Zeit immer kleiner werdend, er dafür unverändert wachsend. Gut möglich, dass er zu gegebener Zeit eine prima braunmelierte Sargdecke abgeben wird. Aber bis dahin haben er und ich hoffentlich noch viel gemeinsame Geschichte vor uns.
yvonne erber - 19. Dez, 14:27