exkurs nr. 3: eine sehr kleine frau (2)
yvonne ging darauf ein und las mir zwei abschnitte vor :
Irgendwann muß ich über dem Laptop eingeschlafen sein.
Das erste, was ich beim Erwachen sah, war der Bildschirmschoner.
Eine Traube von Ballons, die, sich zu bizarren Blüten verformend, im dunklen, leeren Raum schwebte.
Doch vor dem Fenster, das ich rasch öffnete, war es schon hell.
Es regnete nicht mehr.
Wenn ich mich aus dem Fenster beugte, sah ich sogar ein Stück blauen Himmel.
Ich griff mir an die Stirn, hinter der ich nach wie vor einen gewissen Druck spürte.
Aber der war mir ja beinah schon vertraut.
Erhöhte Temperatur oder gar Fieber hatte ich anscheinend nicht.
Na komm schon, hätte die Großmutter gesagt, gehen wir an die Luft.
Ich ging ins Badezimmer, warf das verschwitzte Zeug ab, duschte.
Aus dem Koffer nahm ich die letzte saubere Wäsche.
Zieh dich rasch an, sagte die Großmutter, und dann nichts wie hinaus ins Freie.
Vom Hof aus konnte man um diese Tageszeit die Sonne nicht sehen, aber als ich auf die Straße trat, reflektierte die gelbgestrichene Fassade des gegenüberliegenden Hauses ein schönes, warmes Licht.
Es war kurz vor acht, Horden von Kindern strömten lärmend zur benachbarten Schule.
Fast beschwingt ging ich die etwas abschüssige Gasse hinunter.
In der Trafik verlangte ich einen Zehnerblock Straßenbahnfahrkarten, außerdem fiel mir ein, dass ich ein neues Notizbuch brauchte.
ich: zufällig gewählt?
yvonne: ganz zufällig.
ich: sollte das so sein?
yvonne: ich wollte nichts aussuchen.
ich: eine aufwachsituation also, kurz vor acht und horden von kindern.
yvonne: er wohnt also gleich neben der schule?
ich: das ist eine rückblende.
das stichwort ist vertraut.
der Druck hinter der Stirn ist ihm vertraut.
yvonne: so also geht’s flott in die vergangenheit, über körpergefühle.
ich: dass der Laptop so lang durchgehalten hat.
yvonne: du erfährst ja nicht, wie lang er geschlafen hat.
ich: ich denke, der schaltet doch nach kurzer zeit auf sparflamme.
dann siehst du doch nichts mehr von einem Bildschirmschoner.
auffällig ist dieses schöne bild.
yvonne: ja, dass sich Ballons in Blüten verformen, die im leeren Raum schweben.
ich: als wärs ein nachhall von einem traum.
yvonne: kurze sätze, fällt mir jetzt auf.
ich: recht nüchtern geschrieben, das heißt: schmucklos.
ich und das Fenster.
yvonne: ich schau gewöhnlich gleich beim Fenster raus, weil mich das wetter interessiert.
ich: ich möchte ja auch wissen, was ich anziehn soll., wenn ich vor die tür geh.
yvonne: er zieht sich aber nicht an, sondern bemerkt nur, dass es nicht mehr regnet.
ich: für mich wär das die erste frage, wenn ich weg muss: was muss ich noch mitnehmen, damit ich unterwegs nicht friere.
yvonne: man weiss im moment nicht, in welcher jahreszeit das passiert.
ich: es geht um einen inneren Druck.
yvonne: und schwupps, aus der introspektion mittels konjunktiv in die vergangenheit.
ich: wie alt ist der autor?
yvonne: um die 60.
ich: dann wär er 2 jahre nach kriegsende geboren.
sagen wir, die mutter hat ihn mit 20 gekriegt.
ihr geburtsjahr wär 1927.
yvonne: rechnen wir nochmals 20 für die grossmutter weg.
sie ist etwa 1907 geboren
ich: dann sind wir mittels der rückblende im jahr 1957 gelandet.
yvonne: nein, sind wir nicht, wir sind im „jetzt“.
der ich-erzähler ist verschwitzt und geht ins bad.
das ist die situation nach dem aufwachen.
wie alt ist er denn als heimkehrer?
ich: anscheinend beschreibt er das jahr, in dem henisch das buch geschrieben hat.
yvonne: also „jetzt“, sagen wir im jahr 2004 oder 2005.
ich: du bist dir also sicher, dass dieses ich das alter ego des autors ist?
yvonne: warum denn nicht?
er hat einen weiteren schritt weiter zurück in der familiengeschichte gemacht.
ich: allerdings hat er den vater hat vor seinem tod interviewen können, wie du gesagt hast.
die grossmutter hat er nicht herbeizaubern können.
yvonne: das ganze ist ja eine rekonstruktion aus den erinnerungen.
yvonne: rückkehr zur erinnerungsarbeit.
damit ihm die Großmutter wieder an den originalschauplätzen erscheint.
eine sehr kleine Frau als ansporn und hoffnung.
ich: achso, was die zeiten betrifft - da gehts ja satzweise hin und her.
yvonne: in einem film würde man ihn „jetzt“ sehen.
wie er sich duscht.
wie er aus dem fenster schaut.
wie er auf die strasse tritt.
und aus dem off hört man die stimme der Großmutter.
ich: ja, in dem fall muss man sie gar nicht sehen.
yvonne: sie spricht mit ihm aus der vergangenheit und gibt ihm anweisungen.
ich: sie beschützt ihn.
yvonne: in dieser szene sind ihre sätze aber recht banal.
ich: würde er nicht auch so weggehen, wenn er gerade in seiner heimatstadt aus amerika angekommen ist?
yvonne: der Koffer ist noch nicht ausgeräumt.
ich: sie beschützt und dirigiert ihn.
yvonne: er ist ja nicht gerade in einer wild entschlossenen situation.
ich: die abschüssige Straße - ist das nicht beinahe ein wink mit dem zaunpfahl?
yvonne: immerhin ist er ein strassenbahnfahrer.
ich: er wohnt allein.
er kehrt nicht zu jemanden zurück.
er hat hier keinen anschluss.
er kann sich auf die beine machen, bei blauem Himmel.
die Kinder der benachbarten Schule lärmen.
er kauft sich einen Zehnerblock.
er merkt, dass er ein Notizheft braucht.
es klingt so, als würde ein roman im roman beginnen.
yvonne: wir sind ja erst auf der seite 101.
ich: von wieviel seiten?
yvonne: mehr als 280.
ich: dann beginnt das zweite drittel doch recht hoffnungsvoll.
ich stelle mir jetzt komischerweise vor, dass ich – an seiner stelle – mit jeder strassenbahn bis zur endstelle fahren würde.
ich hab das schon einmal mit dem j-wagen gemacht.
es gibt doch diese hefte der verkehrbetriebe, wo auf der letzten seite immer eine andere strassenbahn- oder autobuslinie vorgestellt wird.
yvonne: voriges jahr ist ja die u1 verlängert worden. erinnerst du dich?
da bin ich bis zur neuen endstation gefahren.
ich: ich finde, dieser paul spielmann (er heisst doch so?) sollte die stadt von den rändern her erforschen.
yvonne: darum geht es ihm aber nicht.
er geht auf den spuren der Großmutter.
er sucht augenblicke und orte, die ihn an die Großmutter erinnern.
ich: ich bin auf jeden fall für harte schnitte.
für schwarzblenden, also unvorbereitete zeitsprünge.
für parallelhandlungen, auch parallelerscheinungen.
für das geordnete chaos.
für eine natürliche asynchronität.
yvonne: willst du seinen roman noch einmal schreiben?
ich: nein. aber ich weiss, was mich antörnt.
und natürlich auch, was mich anödet.
ich glaub, ich geb dir jetzt recht - schenk es weiter!
Irgendwann muß ich über dem Laptop eingeschlafen sein.
Das erste, was ich beim Erwachen sah, war der Bildschirmschoner.
Eine Traube von Ballons, die, sich zu bizarren Blüten verformend, im dunklen, leeren Raum schwebte.
Doch vor dem Fenster, das ich rasch öffnete, war es schon hell.
Es regnete nicht mehr.
Wenn ich mich aus dem Fenster beugte, sah ich sogar ein Stück blauen Himmel.
Ich griff mir an die Stirn, hinter der ich nach wie vor einen gewissen Druck spürte.
Aber der war mir ja beinah schon vertraut.
Erhöhte Temperatur oder gar Fieber hatte ich anscheinend nicht.
Na komm schon, hätte die Großmutter gesagt, gehen wir an die Luft.
Ich ging ins Badezimmer, warf das verschwitzte Zeug ab, duschte.
Aus dem Koffer nahm ich die letzte saubere Wäsche.
Zieh dich rasch an, sagte die Großmutter, und dann nichts wie hinaus ins Freie.
Vom Hof aus konnte man um diese Tageszeit die Sonne nicht sehen, aber als ich auf die Straße trat, reflektierte die gelbgestrichene Fassade des gegenüberliegenden Hauses ein schönes, warmes Licht.
Es war kurz vor acht, Horden von Kindern strömten lärmend zur benachbarten Schule.
Fast beschwingt ging ich die etwas abschüssige Gasse hinunter.
In der Trafik verlangte ich einen Zehnerblock Straßenbahnfahrkarten, außerdem fiel mir ein, dass ich ein neues Notizbuch brauchte.
ich: zufällig gewählt?
yvonne: ganz zufällig.
ich: sollte das so sein?
yvonne: ich wollte nichts aussuchen.
ich: eine aufwachsituation also, kurz vor acht und horden von kindern.
yvonne: er wohnt also gleich neben der schule?
ich: das ist eine rückblende.
das stichwort ist vertraut.
der Druck hinter der Stirn ist ihm vertraut.
yvonne: so also geht’s flott in die vergangenheit, über körpergefühle.
ich: dass der Laptop so lang durchgehalten hat.
yvonne: du erfährst ja nicht, wie lang er geschlafen hat.
ich: ich denke, der schaltet doch nach kurzer zeit auf sparflamme.
dann siehst du doch nichts mehr von einem Bildschirmschoner.
auffällig ist dieses schöne bild.
yvonne: ja, dass sich Ballons in Blüten verformen, die im leeren Raum schweben.
ich: als wärs ein nachhall von einem traum.
yvonne: kurze sätze, fällt mir jetzt auf.
ich: recht nüchtern geschrieben, das heißt: schmucklos.
ich und das Fenster.
yvonne: ich schau gewöhnlich gleich beim Fenster raus, weil mich das wetter interessiert.
ich: ich möchte ja auch wissen, was ich anziehn soll., wenn ich vor die tür geh.
yvonne: er zieht sich aber nicht an, sondern bemerkt nur, dass es nicht mehr regnet.
ich: für mich wär das die erste frage, wenn ich weg muss: was muss ich noch mitnehmen, damit ich unterwegs nicht friere.
yvonne: man weiss im moment nicht, in welcher jahreszeit das passiert.
ich: es geht um einen inneren Druck.
yvonne: und schwupps, aus der introspektion mittels konjunktiv in die vergangenheit.
ich: wie alt ist der autor?
yvonne: um die 60.
ich: dann wär er 2 jahre nach kriegsende geboren.
sagen wir, die mutter hat ihn mit 20 gekriegt.
ihr geburtsjahr wär 1927.
yvonne: rechnen wir nochmals 20 für die grossmutter weg.
sie ist etwa 1907 geboren
ich: dann sind wir mittels der rückblende im jahr 1957 gelandet.
yvonne: nein, sind wir nicht, wir sind im „jetzt“.
der ich-erzähler ist verschwitzt und geht ins bad.
das ist die situation nach dem aufwachen.
wie alt ist er denn als heimkehrer?
ich: anscheinend beschreibt er das jahr, in dem henisch das buch geschrieben hat.
yvonne: also „jetzt“, sagen wir im jahr 2004 oder 2005.
ich: du bist dir also sicher, dass dieses ich das alter ego des autors ist?
yvonne: warum denn nicht?
er hat einen weiteren schritt weiter zurück in der familiengeschichte gemacht.
ich: allerdings hat er den vater hat vor seinem tod interviewen können, wie du gesagt hast.
die grossmutter hat er nicht herbeizaubern können.
yvonne: das ganze ist ja eine rekonstruktion aus den erinnerungen.
yvonne: rückkehr zur erinnerungsarbeit.
damit ihm die Großmutter wieder an den originalschauplätzen erscheint.
eine sehr kleine Frau als ansporn und hoffnung.
ich: achso, was die zeiten betrifft - da gehts ja satzweise hin und her.
yvonne: in einem film würde man ihn „jetzt“ sehen.
wie er sich duscht.
wie er aus dem fenster schaut.
wie er auf die strasse tritt.
und aus dem off hört man die stimme der Großmutter.
ich: ja, in dem fall muss man sie gar nicht sehen.
yvonne: sie spricht mit ihm aus der vergangenheit und gibt ihm anweisungen.
ich: sie beschützt ihn.
yvonne: in dieser szene sind ihre sätze aber recht banal.
ich: würde er nicht auch so weggehen, wenn er gerade in seiner heimatstadt aus amerika angekommen ist?
yvonne: der Koffer ist noch nicht ausgeräumt.
ich: sie beschützt und dirigiert ihn.
yvonne: er ist ja nicht gerade in einer wild entschlossenen situation.
ich: die abschüssige Straße - ist das nicht beinahe ein wink mit dem zaunpfahl?
yvonne: immerhin ist er ein strassenbahnfahrer.
ich: er wohnt allein.
er kehrt nicht zu jemanden zurück.
er hat hier keinen anschluss.
er kann sich auf die beine machen, bei blauem Himmel.
die Kinder der benachbarten Schule lärmen.
er kauft sich einen Zehnerblock.
er merkt, dass er ein Notizheft braucht.
es klingt so, als würde ein roman im roman beginnen.
yvonne: wir sind ja erst auf der seite 101.
ich: von wieviel seiten?
yvonne: mehr als 280.
ich: dann beginnt das zweite drittel doch recht hoffnungsvoll.
ich stelle mir jetzt komischerweise vor, dass ich – an seiner stelle – mit jeder strassenbahn bis zur endstelle fahren würde.
ich hab das schon einmal mit dem j-wagen gemacht.
es gibt doch diese hefte der verkehrbetriebe, wo auf der letzten seite immer eine andere strassenbahn- oder autobuslinie vorgestellt wird.
yvonne: voriges jahr ist ja die u1 verlängert worden. erinnerst du dich?
da bin ich bis zur neuen endstation gefahren.
ich: ich finde, dieser paul spielmann (er heisst doch so?) sollte die stadt von den rändern her erforschen.
yvonne: darum geht es ihm aber nicht.
er geht auf den spuren der Großmutter.
er sucht augenblicke und orte, die ihn an die Großmutter erinnern.
ich: ich bin auf jeden fall für harte schnitte.
für schwarzblenden, also unvorbereitete zeitsprünge.
für parallelhandlungen, auch parallelerscheinungen.
für das geordnete chaos.
für eine natürliche asynchronität.
yvonne: willst du seinen roman noch einmal schreiben?
ich: nein. aber ich weiss, was mich antörnt.
und natürlich auch, was mich anödet.
ich glaub, ich geb dir jetzt recht - schenk es weiter!
yvonne erber - 30. Sep, 08:55