an yvonne erber - 29. Jan, 20:20
K., 28.01.
Liebe Yvonne!
Ich berichte Ihnen noch immer aus K., nachdem wir – also Dr. G. und ich – in Richtung Bodensee heute gegen ½ 3 Uhr aufgebrochen sind. Wir sind aber durch die Kantonshauptstadt durchgefahren, denn G. wollte mir unbedingt zuerst nach R. und zum See, schon deshalb, weil ich R. nur wegen des R.-Tests im Kopf habe und es auf der Hinfahrt von Bregenz aus Nacht gewesen war. Natürlich war es mir nicht unrecht, das Ufer des Bodensees auch einmal an der Schweizer Seite zu betreten. Unter anderen Umständen wären wir sicher mit dem Schiff nach Friedrichshafen übergesetzt.
Wie mir Dr. G. sagte, habe der Name des Tests nichts mit dem Ort zu tun. Seltsamerweise habe ich nie darüber nicht nachgedacht. Ich bin aber auch mit Tests dieser Art noch nie konfrontiert worden.
R. sei eben auch ein Familienname. Dr. G. meinte, es gebe verschiedene Zusammenstellungen von Kleckstafeln für diesen Test, die nicht publiziert werden. Man finde alle möglichen Falschmeldungen dazu. Hauptsächlich deshalb, weil manche Betroffene glauben, sie könnten etwas Falsches sagen. Doch den Psychologen gehe nur um die individuellen Äußerungen, das heisst die Interpretationen der Kleckse, die ja so entstanden sind, dass man Tinte auf ein Blatt rinnen ließ und es dann faltete.
Jedenfalls finde immer eine Deutung von Formen statt, die alle Vourteile und Meinungen des jeweiligen Psychologen oder Therapeuten enthalte. Natürlich kann man jedes Bild, jede Erscheinung interpretieren. Immer wird etwas ausgewählt und interpretiert, schon auf der rein biologischen Stufe. Man kann dabei, sich der Sache bewusster, auch alle möglichen Kriterien unterscheiden, etwa welche Teile das Bildes überhaupt wahrgenommen werden und auf welche Aspekte sich die Antwort bezieht. Sie bezweifle jedenfalls prinzipiell die Zuverlässigkeit und Gültigkeit eines solchen Testverfahrens.
Aber eigentlich ging es uns vor allem darum, noch vor Einbruch der Dunkelheit am Seeufer spazierzugehen. Erst dann wollten wir durch den Park wandern, um das Haus in der E. zu inspizieren. Ich konnte noch Fotos vom See, von der Badhütte, vom nicht zu übersehenden Kornhaus usw. machen.
Ich wusste zwar, dass Dr. G. zu Migräne neigt, denn sie hatte mir von ihren Anfällen erzählt. Doch in meiner Gegenwart hatte sie noch keinen.
Sie trägt eine Spezialbrille, die die Migräne verhindern soll. Mit der passierte Folgendes: sie hatte mir vorgeschlagen, dass ich bei der Rückfahrt das Auto lenken sollte, obwohl meine Fahrpraxis ja nicht berauschend ist. Sie argumentierte aber mit ihrer Abneigung, bei Dunkelheit zu fahren. Ich stieg also bei der Fahrerseite ein, während sie mit einem Mann sprach, den sie anscheinend kannte.
Ich fuhr dann los, gegen 16.30 Uhr. Kaum waren wir zwei Straßen weiter, bemerkte Dr. G., daß sie ihre Brille nicht aufhatte. Sie hatte sie auch nicht in die Haare geschoben. Auch in ihrer Handtasche fand sie sie nicht. Sie war nirgendwo im Auto. Sie hatte keine Erklärung dafür.
Ich blieb stehen, wir fuhren zurück zur Seestraße bzw. Promenade. Wir suchten, den Platz ab, wo das Auto gestanden war. Sie fragte Spaziergänger. Es war nichts zu finden, das war das Verstörendste, was ich seit langem erlebt habe.
Dr. G. versuchte, alle ihre Handgriffe in den letzten Minuten zu rekonstruieren. Es blieb jedoch immer etwas übrig, was völlig auch ihren Bewusstsein verschwunden war, genau dieser Moment der Fehlleistung, die jedoch in diesem Moment gar keine gewesen war. Denn die Fehlleistung bestand darin, sich in den darauffolgenden Sekunden und Minuten nicht mehr daran erinnern zu können, so als wäre dazwischen ein Filmschnitt gewesen, der nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine örtliche Trennung vollzogen hat.
Meine Theorie: sie hat während des Gesprächs die Brille auf das Autodach gelegt, ist dann, über irgend etwas nachdenkend, eingestiegen und hat dabei die Notwendigkeit, die Brille wieder aufzusetzen, völlig ausgeblendet.
Sie können sich vorstellen, wie es weiter ging. Natürlich war an die ursprüngliche Absicht, nach einem so langen und aufwendigen Vorspiel endlich auf die erleuchteten Fenster ...des Amtsrates Julius Zihal (Doderer) zu blicken, nicht mehr zu denken.
Dr. G. erklärte mir, ihre Migräne werde von einem versteckten Schielen auf dem rechten Auge ausgelöst und die Brille korrigiere das. Sonst werde das linke sofort überangestrengt, es entstehe ein Muskelverkrampfung, ein Druck auf die Augen; die Augenhöhlen beginnen zu schmerzen, die Augenlider flattern, und ein heftiger Schmerz steigt von den Schläfen auf.
Yvonne, ich werde Ihnen keine weiteren Details, auch nicht die Vorgeschichte, die sie mir berichtet hat, hier ausbreiten.
Ich fuhr relativ langsam nach K. zurück und hatte den Eindruck, es gibt hier nur Fahrer, die unter dem Druck ihrer vielen PS furchtbar leiden und der Vernunft eine ständige Abfuhr erteilen müssen; anders ausgedrückt: ich kam mir wie in einem nächtlichen Idioten-Autodrom vor oder wie im Auge des Orkans.
Dr. G. entschuldigte sich bei mir, weil sie mir, wie sie meinte, den Tag verdorben hatte. Zu Hause legte sie sich gleich hin, in ihr abgedunkeltes Zimmer. Ich setzte mich aber zur Ablenkung an ihren PC, um Ihnen zu berichten.
Alles Liebe
Michaela
Beigelegt habe ich Ihnen ein Bild, das ich selbst heute Vormittag erzeugt habe, und zwar mittels Photoshop und eines Ausschnitts aus einem von Twoblog am 27.1. eingestellten Bild „Dreiteilig, jeweils 24 x 30 cm, Öl auf Leinwand, 2006-2007“.
Leider hat er damit bald den völlig unberechtigten Vergleich mit Mondrian von anderer Seite hervorgerufen, damit natürlich auch die prinzipielle Frage, was Kunst ist, kann, nicht kann, sein soll. Völlig ausser Acht gelassen wurde, was eine Betrachterin oder ein Betrachter wissen sollte, um sich überhaupt ein Urteil erlauben zu dürfen.
Liebe Yvonne!
Ich berichte Ihnen noch immer aus K., nachdem wir – also Dr. G. und ich – in Richtung Bodensee heute gegen ½ 3 Uhr aufgebrochen sind. Wir sind aber durch die Kantonshauptstadt durchgefahren, denn G. wollte mir unbedingt zuerst nach R. und zum See, schon deshalb, weil ich R. nur wegen des R.-Tests im Kopf habe und es auf der Hinfahrt von Bregenz aus Nacht gewesen war. Natürlich war es mir nicht unrecht, das Ufer des Bodensees auch einmal an der Schweizer Seite zu betreten. Unter anderen Umständen wären wir sicher mit dem Schiff nach Friedrichshafen übergesetzt.
Wie mir Dr. G. sagte, habe der Name des Tests nichts mit dem Ort zu tun. Seltsamerweise habe ich nie darüber nicht nachgedacht. Ich bin aber auch mit Tests dieser Art noch nie konfrontiert worden.
R. sei eben auch ein Familienname. Dr. G. meinte, es gebe verschiedene Zusammenstellungen von Kleckstafeln für diesen Test, die nicht publiziert werden. Man finde alle möglichen Falschmeldungen dazu. Hauptsächlich deshalb, weil manche Betroffene glauben, sie könnten etwas Falsches sagen. Doch den Psychologen gehe nur um die individuellen Äußerungen, das heisst die Interpretationen der Kleckse, die ja so entstanden sind, dass man Tinte auf ein Blatt rinnen ließ und es dann faltete.
Jedenfalls finde immer eine Deutung von Formen statt, die alle Vourteile und Meinungen des jeweiligen Psychologen oder Therapeuten enthalte. Natürlich kann man jedes Bild, jede Erscheinung interpretieren. Immer wird etwas ausgewählt und interpretiert, schon auf der rein biologischen Stufe. Man kann dabei, sich der Sache bewusster, auch alle möglichen Kriterien unterscheiden, etwa welche Teile das Bildes überhaupt wahrgenommen werden und auf welche Aspekte sich die Antwort bezieht. Sie bezweifle jedenfalls prinzipiell die Zuverlässigkeit und Gültigkeit eines solchen Testverfahrens.
Aber eigentlich ging es uns vor allem darum, noch vor Einbruch der Dunkelheit am Seeufer spazierzugehen. Erst dann wollten wir durch den Park wandern, um das Haus in der E. zu inspizieren. Ich konnte noch Fotos vom See, von der Badhütte, vom nicht zu übersehenden Kornhaus usw. machen.
Ich wusste zwar, dass Dr. G. zu Migräne neigt, denn sie hatte mir von ihren Anfällen erzählt. Doch in meiner Gegenwart hatte sie noch keinen.
Sie trägt eine Spezialbrille, die die Migräne verhindern soll. Mit der passierte Folgendes: sie hatte mir vorgeschlagen, dass ich bei der Rückfahrt das Auto lenken sollte, obwohl meine Fahrpraxis ja nicht berauschend ist. Sie argumentierte aber mit ihrer Abneigung, bei Dunkelheit zu fahren. Ich stieg also bei der Fahrerseite ein, während sie mit einem Mann sprach, den sie anscheinend kannte.
Ich fuhr dann los, gegen 16.30 Uhr. Kaum waren wir zwei Straßen weiter, bemerkte Dr. G., daß sie ihre Brille nicht aufhatte. Sie hatte sie auch nicht in die Haare geschoben. Auch in ihrer Handtasche fand sie sie nicht. Sie war nirgendwo im Auto. Sie hatte keine Erklärung dafür.
Ich blieb stehen, wir fuhren zurück zur Seestraße bzw. Promenade. Wir suchten, den Platz ab, wo das Auto gestanden war. Sie fragte Spaziergänger. Es war nichts zu finden, das war das Verstörendste, was ich seit langem erlebt habe.
Dr. G. versuchte, alle ihre Handgriffe in den letzten Minuten zu rekonstruieren. Es blieb jedoch immer etwas übrig, was völlig auch ihren Bewusstsein verschwunden war, genau dieser Moment der Fehlleistung, die jedoch in diesem Moment gar keine gewesen war. Denn die Fehlleistung bestand darin, sich in den darauffolgenden Sekunden und Minuten nicht mehr daran erinnern zu können, so als wäre dazwischen ein Filmschnitt gewesen, der nicht nur eine zeitliche, sondern auch eine örtliche Trennung vollzogen hat.
Meine Theorie: sie hat während des Gesprächs die Brille auf das Autodach gelegt, ist dann, über irgend etwas nachdenkend, eingestiegen und hat dabei die Notwendigkeit, die Brille wieder aufzusetzen, völlig ausgeblendet.
Sie können sich vorstellen, wie es weiter ging. Natürlich war an die ursprüngliche Absicht, nach einem so langen und aufwendigen Vorspiel endlich auf die erleuchteten Fenster ...des Amtsrates Julius Zihal (Doderer) zu blicken, nicht mehr zu denken.
Dr. G. erklärte mir, ihre Migräne werde von einem versteckten Schielen auf dem rechten Auge ausgelöst und die Brille korrigiere das. Sonst werde das linke sofort überangestrengt, es entstehe ein Muskelverkrampfung, ein Druck auf die Augen; die Augenhöhlen beginnen zu schmerzen, die Augenlider flattern, und ein heftiger Schmerz steigt von den Schläfen auf.
Yvonne, ich werde Ihnen keine weiteren Details, auch nicht die Vorgeschichte, die sie mir berichtet hat, hier ausbreiten.
Ich fuhr relativ langsam nach K. zurück und hatte den Eindruck, es gibt hier nur Fahrer, die unter dem Druck ihrer vielen PS furchtbar leiden und der Vernunft eine ständige Abfuhr erteilen müssen; anders ausgedrückt: ich kam mir wie in einem nächtlichen Idioten-Autodrom vor oder wie im Auge des Orkans.
Dr. G. entschuldigte sich bei mir, weil sie mir, wie sie meinte, den Tag verdorben hatte. Zu Hause legte sie sich gleich hin, in ihr abgedunkeltes Zimmer. Ich setzte mich aber zur Ablenkung an ihren PC, um Ihnen zu berichten.
Alles Liebe
Michaela
Beigelegt habe ich Ihnen ein Bild, das ich selbst heute Vormittag erzeugt habe, und zwar mittels Photoshop und eines Ausschnitts aus einem von Twoblog am 27.1. eingestellten Bild „Dreiteilig, jeweils 24 x 30 cm, Öl auf Leinwand, 2006-2007“.
Leider hat er damit bald den völlig unberechtigten Vergleich mit Mondrian von anderer Seite hervorgerufen, damit natürlich auch die prinzipielle Frage, was Kunst ist, kann, nicht kann, sein soll. Völlig ausser Acht gelassen wurde, was eine Betrachterin oder ein Betrachter wissen sollte, um sich überhaupt ein Urteil erlauben zu dürfen.
yvonne erber - 29. Jan, 20:20
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